Genie, Tyrann und vom Erfolg besessenMichael Jordan – Herrscher in einer anderen Zeit

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Michael Jordan, 1992 (Archivbild)

  • Michael Jordan ist der Basketball-Superstar der 90er-Jahre. Der Wille Sieg um jeden Preis hat ihm einen hohen Tribut gefordert.
  • Nach dem Mord an seinem Vater und öffentlichen Verdächtigungen ging Jordan durch die Hölle.
  • Offiziell wird in der Netflix-Doku „The Last Dance“ die letzte erfolgreiche Saison der Chicago Bulls nacherzählt, in Wahrheit aber zeigt die Serie, was es bedeutet hat, Michael Jordan zu sein.

Köln – Vor langer Zeit hat ein Ereignis von großer Wichtigkeit ein Extrablatt bekommen, das Zeitungsjungen an Straßenecken feil boten. Danach strahlte das Fernsehen Sondersendungen aus. In der medialen Postmoderne ist der Superlativ mit zeitlicher Verzögerung die Netflix-Serie. Wer Hauptdarsteller einer Dokumentation des Streaming-Dienstes ist, kann sich seiner Bedeutung sicher sein. Im Fall von Michael Jeffrey Jordan (56) war diese Bestätigung allerdings nicht nötig. Mehr als ein Jahrzehnt lang war der Basketballer aus Wilmington/North Carolina der wichtigste Repräsentant seiner Sportart, der größte Athlet des Planeten, die erste Werbefigur von globaler Dimension und die bekannteste Person der aktuellen Zeitgeschichte.

Jordan hat die Chicago Bulls zu sechs NBA-Titeln geführt, Basketball zur Boom-Sportart der 90er-Jahre gemacht, die Marke Nike mit seinem Logo-Namen „Air“ zum führenden Sportartikelhersteller der Welt, die Nummer 23 zur Traumzahl und sich selbst zum reichsten Sportler aller Zeiten. Aktuell wird sein Vermögen auf 2,1 Milliarden Dollar geschätzt.

Für Jordan waren alle Kollegen nur Statisten seines Erfolgs

Am Montag vervollständigt Netflix die zehnteilige Doku „The Last Dance“ mit den letzten beiden Folgen. Offiziell wird die letzte erfolgreiche Saison der Chicago Bulls von 1997/98 nacherzählt, in Wahrheit aber das Leben des Michael Jordan, in dem alle anderen wie sein damals kongenialer Partner Scottie Pippen nur Statisten waren und sind. Michael Jordan war der Held, der jeder sein wollte. Ein Werbespot des Sportgetränkeherstellers Gatorade mit dem Titel „Be like Mike“ komprimierte dieses globale Lebensgefühl im Jahr 1992 auf gut eine Minute. Sein wie Mike – das war der Traum. Gesegnet sein, beliebt sein, erfolgreich sein. Der beste Mann der Welt.

Die Serie erzeugt mit ihren vielen Blicken hinter die Kulissen eine Ahnung davon, was es bedeutet hat, Michael Jordan zu sein. Es bedeutete: Getrieben zu sein durch den unstillbaren Wunsch, immer zu gewinnen. An jedem Ort, in jedem Spiel, um jeden Preis. Es bedeutete, alle anderen anzutreiben, das Unerfüllbare von ihnen zu fordern, von ihnen gefürchtet zu werden.

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Michael Jordan (3. v.r.) feiert mit dem Team

Seine Kollegen von damals sind sehr ehrlich in diesem Punkt. „Wir haben ihn gehasst“, sagt Steve Kerr, von 1993 bis 1999 Aufbauspieler der Chicago Bulls und als Headcoach der Golden State Warriors einer der erfolgreichsten Trainer der neueren NBA-Geschichte. Er war einer der Mitspieler, die Jordan in jedem Training quälte, sie erniedrigte, verhöhnte, bis es in diesem Fall zur Schlägerei kam. Kerr trug ein blaues Auge davon. Jordan hat sich, zum einzigen Mal in seiner Karriere, persönlich entschuldigt. Danach sind sie fast Freunde geworden. „Weil ich mich nicht geduckt habe“, sagt Kerr.

Michael Jordan ist einer von drei Göttern des US-Sports. Die anderen sind Babe Ruth, der legendäre Baseballer der New York Yankees und Muhammad Ali. Was ihn vom größten Boxer aller Zeiten unterschied, spricht Jordan selbst aus: „Ali war Aktivist, ich habe mich immer nur als Sportler gesehen.“ Muhammad Ali saß für seine Überzeugung, nicht gegen Vietnam in den Krieg zu ziehen, im Gefängnis und hat den besten Teil seiner Karriere für sie geopfert. Michael Jordan hat sich geweigert, auch nur mit Worten aktiv für die Position der Farbigen zu streiten, weil sein wichtigstes Publikum, das mit dem vielen Geld, weiß war. Sein Satz: „Auch Republikaner kaufen Turnschuhe“, wurde legendär. Er hat sich in der Doku nur halb von ihm distanziert.

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Michael Jordan zu sein hat auch bedeutet, durch die Hölle zu gehen. Nach dem Gewinn des dritten NBA-Titels des Chicago Bulls 1993 wurde sein Vater im Auto schlafend ermordet. Obwohl es sich um einen Raubüberfall gehandelt hat, brachten Medien die Tragödie in Zusammenhang mit Jordans damals offenbar akuter Spielsucht. Auch sie wird in der Serie offen mit Originalbildern thematisiert. Jordan spielte im Team-Flugzeug um tausende Dollar, schenkte Rookies eine Golf-Ausrüstung, damit er sie später auf dem Platz bei Wettspielen ausnehmen konnte, wettete und schnipste Geldstücke an die Wand. All das, um der Sieger zu sein. „Ich leide nicht an Spielsucht“, sagt er, „wenn, dann leide ich an Wettbewerbssucht. Ich muss immer gewinnen.“

Michael Jordan, heute Haupteigentümer der leidlich erfolgreichen NBA-Franchise Charlotte Hornets, war gottgleich in einer anderen Zeit. Er war größer als alles ohne Smartphones, Facebook und Instagram. Kaum vorstellbar, wie er heute wäre. Aber er war und ist, wie die Serie zeigt, vor allem ein Mensch.

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