„Wie ein Todesurteil”Warum sich Deutschland mit der Inklusion so schwer tut

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Wenn Tom lacht, dann sei das die schönste Sache auf der Welt, sagt seine Mutter.

Wenn Tom lacht, dann sei das die schönste Sache auf der Welt, sagt seine Mutter.

Köln – Der Begriff Inklusion ist seit vielen Jahren in aller Munde, doch bei der Umsetzung hapert es noch. Zum fünften Geburtstag des Vereins „Süße Zitronen“, deren Mitglieder sich für Familien mit Kindern mit Behinderung stark machen, wurde im Rahmen einer Podiumsdiskussion über das Thema gesprochen. Künstlerin Nadine Kulis, Mutter eines Sohns mit Autismus, weiß, wie schwer es ist, Inklusion auch in Köln zu leben. „Für viele ist eine Behinderung so etwas wie ein Todesurteil“, sagt sie.

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Nadine Kulis (v.l.), Laura Claire Loscheider, Moderator, Bianca Rilinger und Christof Tacken

Mit ihrem Sohn hat sie eine Odyssee mit zahlreichen Gesprächen in Schulen, Gesundheitsamt und anderen Behörden hinter sich. „Ständig muss man sich rechtfertigen“, sagt Kulis. Als sie ihren Sohn in einer Regelschule hatte einschulen wollen, sei sie von einer Lehrerin verständnislos behandelt worden. „Sie sagte so was wie: Sie wollen dieses Kind doch hier nicht einschulen. Man fühlt sich dann wie ein Störenfried.“

Odyssee in Schulen und Behörden

Christof Tacken, Geschäftsführer von „Selbstbestimmt Leben“ und selbst sehbehindert, kann den Eindruck bestätigen. „Behinderung wird meist als defizitär empfunden. Es gehört zu meiner Persönlichkeit dazu, aber ich bin nicht nur behindert.“ Laura Claire Loscheider, Volt-Kandidatin für die Landtagswahl und selbst lernbehindert, sagt, dass sie im Regelsystem keine Chance erhalten habe. „Ich bin direkt von der Förderschule in die Behindertenwerkstatt gekommen.“

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel der Offenen Tür Ohmstraße. Bianca Rilinger, Inklusionspädagogin und Leiterin der OT Ohmstraße, berichtet, dass sich ihre Einrichtung vor 20 Jahren auf den Weg gemacht habe, eine inklusive Offene Tür zu werden. „Im Prinzip müssten alle Jugend- und Freizeiteinrichtungen inklusiv arbeiten“, sagt sie. „Inklusion ist ein Menschenrecht.“ De facto sei dies in Köln aber erst in einer Handvoll umgesetzt worden.

Schweden hat Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderung abgeschafft

In anderen europäischen Ländern gebe aus durchaus Vorbilder für Deutschland, sagt Loscheider. So habe man in Südtirol bereits vor 50 Jahren Schulen und Kindertagesstätten weitgehend inklusiv gestaltet und in Schweden die Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderung abgeschafft. Dort seien mittlerweile 66 Prozent aller Menschen mit Behinderung beschäftigt, während es in Deutschland nur 49 Prozent seien.

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Oft sind es ganz praktische Dinge, die Menschen mit Behinderung das Leben schwer machen, etwa defekte Aufzüge in U-Bahnen, so Loscheider. Rilinger wünscht sich, dass der Staat die Inklusion auch entsprechend finanziell unterstützt. Jugendeinrichtungen benötigten mehr und geschultes Personal. „Inklusion gibt es nicht zum Null-Tarif.“ Kulis fordert, dass die Schulen reformiert werden müssten. Statt Leistungsdruck sollten sie vermitteln, dass man im Leben oft mit sehr unterschiedlichen Menschen zusammenkommt.

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