„Ich war komplett abhängig von ihm“Betroffene erzählt von ihrer gewalttätigen Ehe

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Fatima hat sich mit der Hilfe von Agisra von ihrem gewalttätigen Mann getrennt.

Fatima hat sich mit der Hilfe von Agisra von ihrem gewalttätigen Mann getrennt.

Köln – Vor zweieinhalb Jahren muss er etwa gewesen sein. Der Tag, an dem Fatima zögerlich in einem hektischen Büro am Salierring steht, und als sie jemand anspricht, leise sagt: „Ich brauche Hilfe.“ Vielleicht war der Tag damals ähnlich wie dieser graue Dienstagmittag im zweiten Corona-Januar, nur ohne Masken. Über den Flur rufen sich die Kolleginnen etwas zu, im Wartebereich unterhalten sich auf niedrigen Sofas zwei Frauen in dicken Wintermänteln. Gerade ist es Mittagszeit und es bildet sich eine kleine Menschentraube in der Kaffeeküche, Büroalltag eben.

Weinen, sagt Fatima, konnte sie bei ihrem ersten Besuch in der Beratungsstelle von Agisra nicht. Es kamen keine Tränen mehr. Und während die große Frau mit den langen, dunklen Haaren erzählt, wie ausweglos das Leben ihr damals erschien, sucht sie immer wieder nach den deutschen Wörtern, stattdessen fallen ihr portugiesische ein.

Als die Nachbarn die Polizei rufen, muss sie gehen

Vor über 20 Jahren ist sie aus Mosambik zu ihrem Ehemann nach Köln gekommen, sagt Fatima. Außer für ihren Putzjob verlässt sie die Wohnung kaum. Ihr Gehalt wird auf ein Bankkonto überwiesen, für das nur er die Karte hat. „Ich wusste gar nichts und war komplett abhängig von ihm“, sagt die 48-Jährige, die nur mit Vornamen in diesem Text stehen möchte. Ihr Mann schlägt sie regelmäßig, zwei Zähne fehlen ihr deshalb. Als die Nachbarn wegen häuslicher Gewalt die Polizei rufen, spricht er mit den Beamten. Sie versteht kein Deutsch und ist diejenige, die die Wohnung für zehn Tage verlassen muss.

Fatima will zurück in ihre Heimat, in eines der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Alles scheint besser, als ihm ausgeliefert zu sein. Wenn er ihr kein Geld zum Einkaufen gibt, hungert sie. Ihre Familie will nicht, dass sie zurückkommt. „Ich wusste irgendwann nicht mehr, wer ich eigentlich bin“, sagt Fatima. Nur eins weiß sie noch: Sie ist Mutter.

Agisra versteht sich als Lobby für Migrantinnen

Fatima hat zwei erwachsene Söhne in Mosambik und einen heute 14-jährigen Sohn in Köln. Für ihn, glaubt sie, nahm sie irgendwoher die Kraft, bei Agisra um Hilfe zu bitten. Sie will sich trennen, sie will Deutsch lernen, sie will frei sein. Agisra steht für „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ und ist eine Beratungsstelle für migrantische Frauen, die von Sexismus und Rassismus betroffen sind. Fast 800 hilfesuchende Frauen aus 62 Ländern kamen im Jahr 2020 in das Büro am Barbarossaplatz. In 15 Sprachen berät das weibliche Team, den Flyer im Flur gibt es auch in Arabisch, Serbisch und Urdu. Der Verein versteht sich als Lobby für Migrantinnen und geflüchtete Frauen. Gerade sucht er ein neues, barrierefreies Büro in der Innenstadt.

Das Agisra-Team berät Frauen möglichst in ihrer Muttersprache.

Das Agisra-Team berät Frauen möglichst in ihrer Muttersprache.

Obwohl die Frauen aus den unterschiedlichsten Weltregionen stammen, ähneln viele Lebensgeschichten der von Fatima aus Ostafrika. „Viele unser Klientinnen mit Gewalterfahrungen werden von ihren Ehemännern isoliert“, sagt Beraterin Soraya Geara. „Er kann meist besser Deutsch und hat die Informationsmacht.“ Die Frauen wissen nichts über deutsche Gesetze und ihre Rechte, erst recht nicht, wie sie diese einfordern.

Auch das Miterleben von Gewalt löst Stress bei den Kindern aus

Ein neues Agisra-Projekt, das „wir helfen“ mitfinanziert, wird die Frauen neben ihren eigenen Rechten auch über Kinderrechte aufklären. „Wenn die Mütter zuhause leiden, überträgt sich das aufs Kind“, sagt Psychotherapeutin Kelechi Mennel. „Vielen ist nicht bewusst, wie viel ihre Kinder mitkriegen.“ Auch das Miterleben von Gewalt löst Stress und Ängste aus. Bei manchen Kindern, die Mennel in der Beratung kennenlernt, fällt ihr auf, dass sie nicht sprechen. Und die Mütter keine Kapazitäten haben, sich um dieses Problem auch noch zu kümmern.

So können Sie helfen

wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird

Mit unserer Aktion „wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird“ bitten wir um Spenden für Projekte, die Kinder und Jugendliche wieder in eine Gemeinschaft aufnehmen, in der ihre Sorgen ernst genommen werden.  

Bislang sind 1.328.993,90 Euro (Stand: 27.09.2022) eingegangen. Die Spendenkonten lauten: „wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“ Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 3705 0299 0000 1621 55 Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 3705 0198 0022 2522 25

Mehr Informationen und Möglichkeiten zum Spenden unter www.wirhelfen-koeln.de.

Die Frauen sollen bei Agisra gestärkt werden, sich gegen die Unterdrückung in ihrer Beziehung zu wehren. Um den Stress nicht auf ihre Kinder zu übertragen. „Wenn wir bei Agisra Probleme wie die Wohnungssuche, das Aufenthaltsrecht oder die Scheidung anpacken, haben die Frauen wieder einen Kopf dafür, sich um ihre Kinder zu kümmern“, sagt Mennel, die das Projekt „Starke Mütter für Kinderrechte“ leitet.

Auch Zwangsheirat soll im neuen Projekt thematisiert werden

So war es auch bei Fatima. Agisra vermittelt ihr eine Anwältin, die bewirkt, dass ihr Ehemann aus der Wohnung ausziehen muss. Fatima beginnt einen Deutschkurs und lernt lesen. Sie hat nun einen Ort, an den sie regelmäßig geht, und lernt bei Agisra Frauen kennen, die Ähnliches durchgemacht haben wie sie. „Uns ist ganz wichtig, dass die Frauen sich austauschen und gegenseitig unterstützen“, erklärt Geara. „Wir wollen keine neue Abhängigkeit schaffen, sondern den Frauen und ihren Kindern ein selbstständiges Leben ermöglichen.“

Mennel will im Kinderrechte-Projekt auch über das Thema Zwangsheirat sprechen. Diese erfolgt bei Mädchen in den vermeintlichen Ferien im Herkunftsland der Familie – und ist strafbar. Laut NRW-Polizeistatistik waren 27 Personen im Jahr 2020 betroffen. Die Dunkelziffer wird um ein Vielfaches höher geschätzt.

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Obwohl viele Frauen selbst in eine Ehe gedrängt wurden, die gescheitert ist, trauen sich manche nicht, ihre eigenen Kinder davor zu bewahren. Der Druck der Familie und des Umfelds ist zu groß. Und eine Verweigerung käme dem Bruch mit der Familie gleich. Viele Frauen haben Angst, dass sie dann alleine sind. Fatima sagt, sie habe sich in ihrer Ehe alleine gefühlt. Jetzt nicht mehr. Jetzt fühlt sie sich frei.

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