Pirate SummitSieben Start-ups aus dem Rheinland kämpfen im Odonien um Investoren

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Walk the Plank Pirate Summit 2018

Beim Pitch-Contest „Walk the Plank" treten Gründer aus aller Welt gegeneinander an, um Investoren von ihrer Geschäftsidee zu überzeugen.

Köln-Neuehrenfeld – Im Kölner Szeneclub Odonien findet seit Dienstagabend eins der verrücktesten Start-up-Events weltweit statt – der Pirate Summit. Das Motto wird ernst genommen: Teilnehmer treten in Piratenkluft auf, statt Applaus gibt es ein kräftiges „Arrr!“. Einer der Höhepunkte: Die Burning-Man-Zeremonie, bei der am Mittwochabend ein mehrere Meter hoher Holzpirat in Brand gesteckt wird. Anschließend starten die Glücksritter in eine wilde Partynacht.

Burning Pirate Summit 2017

Der Holzpirat wird jedes Jahr bei der Pirate-Summit-Party verbrannt.

Tagsüber ist aber Business angesagt: 74 Gründer aus 27 Ländern präsentieren beim Pitch-Wettbewerb „Walk the Plank" ihre Geschäftsideen. Dafür steigen sie wie auf einem Piratenschiff auf eine Planke. Unter ihnen lauern aber keine Haie, sondern Investoren mit Millionen in den Taschen. Eine gute Performance auf der Planke kann den Erfolg der jungen Unternehmen erheblich beeinflussen.

Im vergangenen Jahr war nur ein Start-up aus der Region bei „Walk the Plank" am Start, in diesem Jahr sind es eine ganze Reihe. Sieben von ihnen stellen wir vor.

Adbonitas: KI gegen Werbebetrug

Das im Juli 2017 von Marcus Wille und zwei Partnern in Köln gegründete Start-up Adbonitas kümmert sich um eine gewaltiges Problem von Werbetreibenden: Immer wieder versuchen kriminelle Hacker, mit Hilfe von Bot-Software möglichst viele Klicks auf bestimmte Werbeanzeigen zu generieren. Sie treiben dadurch Werbeerträge illegal in die Höhe, ohne dass eine reale Person die Werbung tatsächlich betrachtet hat. Dieser Betrug geht zulasten der Unternehmen, die die Werbung geschaltet haben – der Schaden beläuft sich laut einem Bericht der Weltwerbeorganisation jedes Jahr auf mehrere Milliarden Dollar.

Adbonitas Gründer

Die drei Adbonitas-Gründer vor dem MIT in Boston (v.l.n.r.): Jost Löhnenbach, Marcus Wille und Thomas Seeliger.

Adbonitas möchte das Problem mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und Maschinellem Lernen lösen: Eine Software analysiert große Mengen Transaktionsdaten, erkennt Muster und schätzt das Risiko für Werbe-Betrug ein. Damit hilft das Kölner Start-up Werbern beim Einkauf von Werbeplatzierungen, indem es die Qualität dieser Platzierungen checkt.

Adbonitas Marcus Wille Pirate Summit 2018

Adbonitas-Gründer Marcus Wille bei seinem Pitch auf dem Pirate Summit 2018

Umsätze schreibt Adbonitas noch nicht, Wille sagt aber, man arbeite bereits mit großen Kunden, Agenturen und technischen Plattformen zusammen. Um wen es sich bei den Partnern handelt, darf der Gründer aufgrund von Verschwiegenheits-Vereinbarungen noch nicht erzählen. Erste Erfolge gebe es aber: „Wir haben mehr als ein Terrabyte an Transaktionsdaten analysiert und bereits in einigen Datensätzen signifikante Manipulationen gefunden.“

Investor auf dem Pirate Summit 2016 getroffen

Der Gründer ist in diesem Jahr mit seinem Software-Unternehmen schon zum dritten Mal auf dem Pirate Summit. Vor zwei Jahren hat er im Odonien den ersten Adbonitas-Investor – den High-Tech Gründerfonds aus Bonn – von seiner Geschäftsidee überzeugen können. Drei Kölner Business Angels sind ebenso eingestiegen. Inzwischen arbeiten sechs Personen für Adbonitas.

Derzeit wird die nächste Finanzierungsrunde mit einem Volumen von 2,5 Millionen Euro für Herbst 2018 vorbereitet. Auch der Pirate Summit könnte wieder zu wichtigen Kontakten führen. Wille: „Aus Erfahrung schätzen wir den offenen Austausch mit allen Beteiligten, man lernt von anderen Start-ups, denkt zusammen Aufgabenstellungen durch und es finden sich gegebenenfalls Geschäftspartner, Mitarbeiter oder eben auch Investoren.“

Plaze: Konzept für Werbung in Airbnb-Wohnungen

Das Kölner Start-up Plaze steht noch vor seiner Gründung: „Wir werden in Kürze die GmbH anmelden“, sagt Jens Büschgens, einer von vier Plaze-Gründern. Ihre Geschäftsidee ist ein neues Webekonzept für Marken, deren Produkte in ausgewählten Airbnb-Wohnungen platziert werden. Werbe-Zielgruppen sollen genau anvisiert werden können, indem Plaze die Daten von Wohnungsinseraten analysiert – „auf dieser Datenbasis verstehen wir sehr gut, wen wir in der jeweiligen Unterkunft erreichen“, sagt Büschgens.

Plaze Gründer

Die Plaze-Gründer (v.l.n.r): Jens Büschgens, Tim Kohlen, Hendrik Schubert,  Martin Jan Korus

Airbnb-Gastgeber sollen durch die Kooperation mit Plaze ihren Zeit- und Kostenaufwand reduzieren können – denn das Unternehmen kümmert sich um die Produktauswahl und Gastgeber müssen keine teuren Möbel mehr für die Gästezimmer einkaufen.

Plaze Werbung Pirate Summit 2018

Werbung von Plaze auf dem Pirate Summit 2018

Für Marken ergeben sich Büschgens zufolge geringere Streuverluste und eine erhöhte Marketingeffizienz als bei üblichen Werbeformen. „Wir erschließen einen neuen, qualitätskontrollierten Werbekanal, der hochqualitative und mehrtägige Kontakte ermöglicht.“

Noch keine Investoren an Bord

Plaze hat noch keine Investoren mit an Bord geholt, das Start-up ist bislang komplett „bootstrapped“ – aus eigener Tasche finanziert. Vom Pirate Summit erhofft sich Büschgens nun „spannende Gespräche mit Investoren, Werbepartnern und anderen Piraten“. Für die Frühfinanzierung, die Seed-Phase, beträgt der Kapitalbedarf 200.000 Euro

Dabbel: Intelligente Gebäude

Dabbel hat seinen Hauptsitz im thüringischen Ilmenau, ist mittlerweile aber auch in Düsseldorf vertreten. Das Start-up hat eine autonome Gebäudeleittechnik entwickelt, die auf Künstlicher Intelligenz basiert und in der Lage ist, selbstständig Steuerungssysteme für die Regulierung von Temperatur, Lüftung und Beleuchtung eines Gebäudes zu leiten.

Dabbel Gründer

Das Team von Dabbel (v.l.n.r.): Javier Ferre, Pablo Stahl und Abel Samaniego

„Dabbel macht Gebäude umweltfreundlich, indem es Energie- und Betriebskosten reduziert, und erhöht gleichzeitig das Wohlbefinden und die Produktivität der Personen, indem es ein gesundes Umfeld schafft“, sagt Abel Samaniego, einer der drei Gründer. „Unsere Vision ist eine Zukunft, in der die Gebäude sich um die Menschen kümmern und nicht die Menschen um die Gebäude.“

Erstes Projekt an der TU Ilmenau

Seit Februar 2018 läuft ein Pilotprojekt von Dabbel an der TU Ilmenau, die das Start-up auch wissenschaftlich unterstützt – dort steuert die Software bereits ein Gebäude mit einer Fläche von mehr als 5000 Quadratmetern. Um alle Gebäudesysteme zu steuern, trifft sie rund 22.400 Entscheidungen pro Minuten.

Dabbel hat bereits an einem Förderprogramm des Energieversorgers Eon teilgenommen und befindet sich mit dem Unternehmen gerade in der ersten Investitionsrunde. Samaniego berichtet, dass bereits Kontakt bestehe mit Immobilienunternehmen, die am Erwerb der Software interessiert seien. Der nächste Schritt soll auf dem Pirate Summit erfolgen, sagt Samaniego: „Wir sind dort, um nach strategischen Co-Investoren mit Eon zu suchen, um unser Team zu erweitern sowie potenzielle Kunden zu finden.“

Werksta.tt: Vernetzte Maschinen

Werksta.tt ist ein Start-up aus Köln, das Industrie-4.0-Lösungen für kleine und mittelständische Unternehmen umsetzt. Grundlage der Industrie 4.0 sind miteinander vernetzte Geräte und Maschinen, die Informationen austauschen und so Prozesse verbessern und ihre Effizienz steigern. Das Problem für kleinere Unternehmen: Die vorhandenen Lösungen sind oft teuer, das zur Umsetzung benötigte Fachpersonal nicht vorhanden.

Hinzu kommt, dass Maschinen oft veraltet sind und nicht die richtigen Datenschnittstellen bieten. Hier setzt Werksta.tt an: „Wir haben ein Gerät entwickelt, mit welchem man Maschinen retrofit überwachen kann“, sagt Gründer Justus Lauten. „Das bedeutet, dass die Maschinen im laufenden Prozess mit Sensortechnik nachgerüstet werden können.“ Die Übertragung der Daten geschehe über ein Drahtlosnetzwerk, sodass keine teuren Kabel gezogen werden müssten, so Lauten.

Kurz vor der Gründung

Streng genommen gibt es Werksta.tt noch gar nicht, die Gründung ist noch nicht offiziell. Derzeit befinden sich Lauten und seine drei Mitstreiter auf der Suche nach Pilotkunden und Investoren – in der Seed-Phase würden sie gerne 500.000 Euro für die Entwicklung einsammeln. Ein erster Prototyp wird derzeit von einem 3-D-Drucker hergestellt. Vom Pirate Summit erhofft sich Lauten „Investoren, strategische Partner und das eine oder andere kühle Getränke“.

Cognigy: Chatbot-Programmierung ohne Coding-Kenntnisse

Sprachassistenten gehören zum Alltag von immer mehr Menschen – mit der zunehmenden Verbreitung von Amazons Alexa oder der Sprachsteuerung von Handys wachsen indes auch die Anforderungen an die Systeme. Menschen wollen mit den Maschinen möglichst natürlich kommunizieren – die Unternehmen, die die Maschinen entwickeln und vertreiben, müssen mit den Kundenerwartungen Schritt halten.

Cognigy Gründer

Die Gründer von Cognigy, Philipp Heltewig und Sascha Poggemann (rechts)

Das 2016 gegründete Düsseldorfer Start-up Cognigy sieht hier seine Chance gekommen: Die Software der Gründer Philipp Heltewig und Sascha Poggemann soll „automatisierte, von Künstlicher Intelligenz getriebene Konversationen“ ermöglichen, erklären sie. Das funktioniert etwa über Chatbots oder Sprachassistenten, deren Programmierung über die Software der Düsseldorfer auch ohne Coding-Kenntnisse möglich sein soll.

„So können Kunden zum Beispiel bei der Produktauswahl im Onlineshop unterstützt oder Supportanfragen im Kundenservice automatisiert im Dialog mit dem Kunden bearbeitet werden“, sagt Poggemann. Die Cognigy-Software nutzten die Gründer im vergangenen Jahr auch, um die Dialoge des menschenähnlichen Roboters Pepper zu optimieren.

Büro in San Francisco eröffnet

Und auch sonst haben die Heltewig und Poggemann mit Cognigy großen Erfolg: Ende 2017 schloss das Start-up seine erste Finanzierungsrunde ab – ein siebenstelliger Betrag wurde bei internationalen Investoren eingesammelt. 2018 haben die Gründer nun ein Nordamerika-Büro in San Francisco eröffnet.

Auch wenn sie es schon so weit geschafft haben, bleibt der Kölner Pirate Summit für sie laut Heltewig „ein sehr besonderes Erlebnis“. Das liege vor allem an der Location, der außergewöhnlichen Stimmung und den herausragenden Beiträgen der Besucher. Gründer Heltewig: „Wir freuen uns darauf, in diesem Rahmen Corporates, digitale Macher und Vordenker mit unseren Ideen zu inspirieren und viele gute Impulse und Ideen mitzunehmen.“

E·Pilot: E-Commerce für Energieversorger

Das vom Kölner Wirtschaftsingenieur Michel Nicolai im Sommer 2017 gegründete Start-up E·Pilot hat inzwischen 25 Mitarbeitern. Das Produkt: Eine Vertriebssoftware für Energieversorgungsunternehmen. „Es gibt derzeit keine Lösung, welche es Energieversorgern ermöglicht, den Spagat in die digitale Welt zu bewerkstelligen und zu modernen E-Commerce-Anbietern fuür ihr breites Portfolio an Energieprodukten zu werden“, sagt Sprecherin Katja Tecklenburg. Die Plattform von E·Pilot soll diese Lösung sein.

E-Pilot Gründer Michel Nicolai

E-Pilot-Gründer Michel Nicolai

Auf der Webseite eines Energieversorgers implementiert, bündelt die Software die vom Kunden angefragten Produkte – beispielsweise eine Photovoltaikanlage – und bindet gleich noch die benötigten Partner wie etwa Handwerker ein, die die Anlage schließlich installieren. Verbrauchern soll damit die Suche nach den Einzelakteuren erspart bleiben, sie kaufen das Gesamtpaket. „Wir bilden die Brücke zwischen Energieversorgern, Kunden und allen Partnern“, sagt Tecklenburg.

Zahlreiche Stadtwerke als Kunden

Die Kundenliste ist für ein so junges Start-up beeindruckend: Dazu gehören etwa die Stadtwerke Karlsruhe, die Energie Südwest und Mainova. Laut Unternehmensangaben nutzen 20 Energieversorger die E·Pilot-Entwicklung.

Das Schweizer IT-Unternehmen Axon Ivy und die Beteiligungsgesellschaft ATV Energie aus Velbert haben bereits früh in E·Pilot investiert. Nun folgt die nächste Investitionsphase: „Wir erhoffen uns, durch den Pirate Summit unser Netzwerk in die Start-up-Szene auszubauen und darüber hinaus auch mit konkreten Investoren ins Gespräch zu kommen“, sagt Tecklenburg. „Unser realistisches Ziel liegt bei einer Summe von 1,5 Millionen Euro, das wir aber auch gerne übersteigen.“

Nyris: Bilderkennung für VW und Daimler

Nyris wurde 2015 von Anna Lukasson-Herzig und ihrem Bruder Markus Lukasson gegründet, inzwischen hat das Unternehmen 15 Mitarbeiter und Büros in Berlin und Düsseldorf. Die Nyris-Software analysiert mit Hilfe Künstlicher Intelligenz das Smartphone-Kamerabild – Farben, Formen und digitale Daten funktionieren wie ein Fingerabdruck. Jedes Objekt kann dadurch erkannt und von anderen unterschieden werden. Dem Nutzer werden auf dem Smartphone anschließend Informationen zum Objekt angezeigt.

VW als Kunden gewonnen

Die Nyris-Entwicklung wurde bereits von Daimler für die Fuhrparkverwaltung und von Lufthansa für sein Shop-System genutzt, weitere Kooperationen sind in den vergangenen Monaten zustande gekommen. „Wir konnten VW als Kunden gewinnen und arbeiten an einem großen spannenden Projekt in Bezug auf die Schadenserkennung bei Autos“, sagt Unternehmenssprecherin Daniela Miska.

Anna Lukasson-Herzig

Nyris-Gründerin Anna Lukasson-Herzig

„Vom Pirate Summit erhoffen wir uns weitere Kontakte, wie immer möchten wir unser Netzwerk ausweiten und die Bekanntheit unserer Bilderkennung nach vorne treiben“, so Miska. In einer ersten  Finanzierungsrunde gab es in der Vergangenheit schon einmal 1,8 Millionen Euro. Jetzt sammeln die Nyris-Gründer wieder, wie Miska erzählt: „Wir sind gerade auf der Suche nach neuen Investoren und möchten gerne zwei Millionen Euro einsammeln.“

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