Wieder Must-haveDer Gürtel verleiht Kontur

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Illustration: Models tragen Mode mit Gürtel.

Der Gürtel kann durch Schlichtheit ebenso bestechen wie durch Extravaganz

Umschnallen bitte: Der Gürtel ist zurück und setzt nun einen hübschen Schlussstrich unter eine viel zu lange Phase einer unvollständigen Garderobe. Denn der Gürtel ist mehr als nur ein schmückendes Accessoire.

Erst fiel die Krawatte weg, dann der Gürtel. Selbst in konservativen Anzugdomänen wie Banken und Versicherungen hielt den Mann mit dem Aufweichen formaler Dresscodes in den vergangenen Jahren plötzlich nichts mehr zusammen. Was für viele Stilberaterinnen und Herrenausstatter aussah, als ob jemand noch im Stadium der Anprobe gerade aus der Umkleidekabine getreten war, wurde bürotauglich und war auch bei festlichen Anlässen erlaubt: Hemden ohne Schlips und Anzughosen ohne Gürtel.

Die Krawatte kehrt wohl nie wieder als Teil der Standardgarderobe zurück, zumal sie als unpraktisch und auch unter modischen Gesichtspunkten als verzichtbar gilt. Anders verhält es sich aber mit dem Gürtel: Für Männer wird er wieder zur Pflicht, weil der Trend weg vom passgenauen Slim-Fit-Stil hin zu lockereren Schnitten bei Hosen geht. Branchenexperten unter anderem im Fachmagazin „Textilwirtschaft“ prognostizieren, dass das „Angezogensein“ wieder mehr in den Vordergrund rücke.

In dem Gürtel bewahrt Aphrodite der Reize Geheimnis.
Friedrich Schiller

Der Vollständigkeit halber darf der Gürtel bei Outfits also künftig nicht mehr fehlen. Das gilt auch für Frauen. Wobei sie von deutlich mehr Auswahl bei Form und Materialien sowie bei Tragevarianten profitieren als Männer. Doch auch die müssen sich modisch nicht eingeengt fühlen, denn ein Gürtel kann so viel mehr als nur verhindern, dass die Kleidung rutscht: Er verleiht Kontur und Individualität. Er kann durch Schlichtheit ebenso bestechen wie durch Extravaganz. In jedem Fall wertet er ein Outfit auf. Das liegt nicht zuletzt auch an seinem hohen Stellenwert in der Geschichte der Mode. Denn gerade in früh-eren Zeiten diente der Gürtel nicht einfach nur dem rein praktischen Zweck, Kleidung zusammenzuhalten oder schmückendes Accessoire zu sein. Er sagte auch etwas aus über den gesellschaftlichen Status, war Teil von Kleiderordnungen und unverzichtbar in bewaffneten Auseinandersetzungen.

Schon in der Jungsteinzeit, also vor rund 5000 Jahren, trugen Menschen Gürtel. So etwa auch die Gletschermumie Ötzi. Ötzis Gürtel aus Kalbsleder ist nicht gerade primitiv: Archäologen zufolge war er ursprünglich wohl zwei Meter lang, wurde also doppelt um die Hüfte gewunden. Er hielt auf diese Weise sowohl Lendenschurz als auch Mantel zusammen und hatte außerdem einen taschenähnlichen Hohlraum, um nützliche Dinge zu verstauen. In der Bronzezeit kamen die ersten Schmuckgürtel mit Kettenschnüren und Haken auf. Die Erfindung der Gürtelschnalle wird Handwerkern im antiken Rom zugeschrieben. Sie begannen durch Gravuren damit, den Gürtel symbolisch aufzuwerten.

Im Mittelalter stand er je nach Breite und Verzierungen für Macht, Reichtum oder auch eheliche Treue. Den sagenumwobenen Keuschheitsgürtel, der Frauen zur Enthaltsamkeit zwang, während ihre Männer auf Kreuzzug waren, oder vor Vergewaltigung schützen sollte, gab es in Wirklichkeit aber wohl nicht. Historiker halten ihn – auch mangels echter Beweisstücke – für einen Mythos, der in der Barockzeit aufkam.

Legenden und Geschichten rund um den Gürtel

Doch es ranken sich auch andere Legenden und Geschichten um den Gürtel: In der Nibelungensage etwa wird Brunhild vom getarnten Siegfried ihres Gürtels beraubt – als Beweis dafür, dass er und nicht sein Bruder Gunter die stolze Königin bezwungen hat. Als sie dahinterkommt, lässt sie Siegfried töten. Fast mit dem Leben bezahlen muss auch Schneewittchen im Märchen der Gebrüder Grimm, als ihm die böse Stiefmutter einen „Schnürriemen“ aus geflochtener Seide so fest um die Taille zurrt, dass das Mädchen kaum noch Luft bekommt.

In der nordischen Mythologie wiederum ist der Gürtel positiv dargestellt: „Megingiard“ ist neben Hammer und Handschuh das Erkennungszeichen von Thor, dem Donnergott, der stets den Schwachen zur Seite steht. Der Gürtel verleiht ihm unerschöpfliche Kraft. Einen besonderen Zauber entfaltet auch der Gürtel von Aphrodite in der griechischen Sagenwelt: Er schenkt seinem Träger Anmut und Glück in der Liebe. Selbst dem „Nichtschönen“, wie Friedrich Schiller (1759-1805) in seiner Abhandlung „Über Anmut und Würde“ von 1793 schrieb. Der Gürtel inspirierte ihn auch zum gleichnamigen Gedicht, das mit der Zeile „In dem Gürtel bewahrt Aphrodite der Reize Geheimnis“ beginnt.

Magie verströmen die Gürtelmodelle für diese und nächste Saison vielleicht nicht unbedingt, Schönheit aber auf jeden Fall: Bei Chanel dominieren zarte Kettengürtel, bei Armani umspielen breite Exemplare locker die Taille, während bei Max Mara legere Kleider streng gegurtet werden. Tod’s setzt auch auf praktische Aspekte und bietet Gürtel mit eingearbeiteten Taschen und Haken, die an Werkzeuggürtel erinnern. Am Karabiner hängen jedoch keine Arbeits-, sondern elegante Lederhandschuhe.

In der Männermode trug man auffällige Gürtel bislang nur zur Jeans. Burberry jedoch setzt in seiner Frühjahrs- und Sommerkollektion für 2024 auch bei Stoffhosen auf fette Schnallen, wie sie bei Rodeo Cowboys als Statussymbol üblich sind. Die wiederum hatten sich den breiten Verschluss Anfang des 20. Jahrhunderts von Militäruniformen abgeschaut. Vorher trugen auch Cowboys Hosenträger.


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