Das "Regionalfenster"Salat mit Stammbaum - taugt das?

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Die Herkunft von Obst und Gemüse ist den meistern Deutschen wichtiger als der Preis - das zeigt eine aktuelle Umfrage.

Die Herkunft von Obst und Gemüse ist den meistern Deutschen wichtiger als der Preis - das zeigt eine aktuelle Umfrage.

Wer in den nächsten Wochen im Supermarkt von Ehepaar Sauerbach im bergischen Rösrath-Forsbach einkauft, der könnte an der Obsttheke von einer Forscherin der Universität Kassel angesprochen werden. Womöglich geht es in dem kurzen Gespräch um Kartoffeln aus Mönchengladbach oder Salatköpfe aus Rheinbach – um Produkte aus Nordrhein-Westfalen eben. Das Geschäft der Sauerbachs ist zurzeit einer von vier Supermärkten in NRW, in denen das Bundesverbraucherministerium eine kleine Einkaufs-Revolution testet: das Regionalfenster (siehe Kasten). Dieses kleine blaue Rechteck, das in Forsbach auf der Verpackung einiger Obst- und Gemüsesorten prangt, verrät, woher das Produkt kommt und wo es abgepackt wurde. Und damit weit mehr, als der Kunde gemeinhin über die Herkunft seiner Lebensmittel erfährt.

Forscher fragen auch in Köln nach

Forscher der Uni Kassel fragen zurzeit auch in Köln (Rewe in der Bonner Straße), Düsseldorf und Essen Kunden nach dem Regionalfenster. In bundesweit fünf Testgebieten wollen sie erfahren, was die Menschen von der neuen Kennzeichnung halten. In Hamburg und Thüringen tragen seit Januar auch manche Fleisch- und Milchprodukte das Regionalfenster. Verbraucher können dort ablesen, wo ein Tier zerlegt und verarbeitet wurde. Der Test im Auftrag des Bundesverbraucherministeriums läuft noch bis Ende März.

Was heißt "Aus unserer Heimat"?

„Wir erleben eine beispiellose Renaissance des Regionalen“, hatte Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) im Januar den Start des Regionalfenster-Projekts angekündigt. Einer Umfrage ihres Ministeriums zufolge ist es für 67 Prozent der Verbraucher wichtig, dass Lebensmittel aus einer bestimmten Region kommen (siehe Grafik). Umso notwendiger sei eine „transparente, übersichtliche und verlässliche Kennzeichnung regionaler Produkte“. Zwar verkaufen Dutzende Hersteller ihre Produkte mit Slogans wie „Aus heimischen Früchten“ oder „Aus unserer Heimat“. Was aber genau damit gemeint ist, bleibt oft schleierhaft. Zumindest fühlte sich laut einer Umfrage von 2011 nur ein Fünftel der Deutschen gut informiert darüber, woher als regional angepriesene Lebensmittel genau stammen.

Mit dem „Regionalfenster“ reagiert das Bundesverbraucherministerium auf die steigende Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln und den Wildwuchs der Siegel. Hersteller können das Fenster freiwillig auf der Verpackung ihrer Produkte anbringen und zeigen, woher die Hauptzutat stammt und wo sie verarbeitet wurde. Zurzeit wird es in fünf Regionen getestet. Bundesweit könnte es im Herbst auf den Markt kommen. (ma)

Siegel-Wildwuchs

Ein Gutachten des Forschungsinstituts für Biologischen Landbau (FIBL) in Frankfurt am Main gab diesem mulmigen Bauchgefühl der Verbraucher recht. Im Auftrag des Bundesverbraucherministeriums hatten die Forscher untersucht, wie regionale Lebensmittel in Deutschland gekennzeichnet werden. In ihrer 194 Seiten langen Studie offenbarten sie einen regelrechten Siegel-Wildwuchs. Demnach legt fast jedes der rund 150 Siegel von Regionalinitiativen und Handelsketten andere Kriterien an die Regionalität von Produkten an. Während bei dem einen Hersteller 100 Prozent der Hauptzutat aus der Region stammen muss, sind es bei einem anderen nur zehn Prozent. Listet das eine Regional-Label nur Bioprodukte, sind beim anderen auch konventionell produzierte Nahrungsmittel inbegriffen. Und bei der Zertifizierung der Regionalität reicht die Palette sogar von der Selbstkontrolle bis zum fünfstufigen Prüfsystem.

Etikettenschwindel

Schon zuvor hatten Tests gezeigt, dass hinter vielen „regionalen“ Produkten ein – mehr oder weniger deutlicher – Etikettenschwindel steckt. So deckte die Verbraucherzentrale Hessen 2011 in einer Stichprobe bei Supermärkten in der Rhein-Main-Region auf, dass bei rund 90 Prozent der Produkte, die in Prospekten mit regional angepriesen wurden, „die Herkunft der Rohstoffe im Dunkeln“ blieb. Zum Teil seien sogar griechischer Feta und französische Zwiebeln mit „Aus unserer Region“ beworben worden.

„Es gibt Dutzende Siegel, aber keine eindeutigen Kriterien, was unter »regional« oder »heimisch« zu verstehen ist“, sagt auch Andreas Winkler, Sprecher der Verbraucherorganisation Foodwatch (siehe Interview). Foodwatch fordert nicht erst seit dem Pferdefleisch-Skandal, die Herkunft von Lebensmitteln auf der Verpackung anzugeben.

Freiwillige Angabe

Die Experten des FIBL hatten in ihrem Gutachten 2012 mehrere Lösungen vorgeschlagen, wie die Politik den Siegel-Dschungel in Zukunft lichten könnte. Eine davon ist die freiwillige Kennzeichnung, die nun getestet wird. „Das Regionalfenster ist für uns kein Siegel, sondern ein Informationsfeld“, sagt Projektleiter Axel Wirz vom FIBL. „Es transportiert Informationen, keine Emotionen“ – und sei deshalb keines der irreführenden Siegel, die nur dem Kaufanreiz dienten. Die Initiative hat ein Prüf- und Kontrollsystem für das Label entwickelt. Der Testlauf, bei dem deutschlandweit 2000 Kunden befragt werden, sei eine Art Nagelprobe, erklärt Wirz: „Wir wollen wissen: Halten Verbraucher das neue Info-Feld für eine gute Idee?“ Verläuft der Test zur Zufriedenheit, könnten ab Herbst die ersten Produkte mit Regionalfenster in „normalen“ Supermärkte auftauchen.

Zwar wären damit erstmals regionale Lebensmittel bundesweit einheitlich gekennzeichnet. Trotzdem sollten sich Verbraucher nicht zu viel von dem neuen Label versprechen. „Wer diese Kennzeichnung verwendet, muss garantieren, dass vor allem die Hauptzutat zu 100 Prozent aus der klar definierten Region kommen muss“, wirbt Aigner für das Regionalfenster. „Ob ein Produkt aber konventionell oder biologisch hergestellt wurde, darüber wird keine Aussage gemacht“, erklärt Wirz. Zudem wird kein Hersteller gezwungen, die Kennzeichnung zu verwenden.

Sicherheit für die Verbraucher könne nur ein gesetzlich geregelter Herkunftsnachweis für Lebensmittel bringen, fordern Verbraucherschützer. „So etwas müsste aber auf EU-Ebene entschieden werden“, erklärt Wirz. Und das sei momentan nur schwer vorstellbar.

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