Kommentar zu RosenmontagszügenPersiflagewagen nutzen eine falsche und sogar gefährliche Bildsprache

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Umstrittenes Motiv auf dem Kölner Rosenmontagszug 2024: Ein Vertreter der neuen Rechten hofiert eine Frau, die durch ihr Halstuch als Palästinenserin charakterisiert ist.

Umstrittenes Motiv auf dem Kölner Rosenmontagszug 2024: Ein Vertreter der neuen Rechten hofiert eine Frau, die durch ihr Halstuch als Palästinenserin charakterisiert ist.

Satire soll laut Tucholsky ein „guter politischer Witz“ sein – bei manchen Karnevalswagen zündet der Witz leider nicht.

Vergesst Tucholsky! Auf die von ihm selbst gestellte Frage, „was darf die Satire?“, hat der Schriftsteller und Essayist, eine der bedeutendsten Stimmen der Weimarer Republik, vor etwas mehr als 100 Jahren die kürzeste und klarste Antwort gegeben, die sich überhaupt denken lässt: „Alles!“ Davon hätte Tucholsky vermutlich auch nichts zurückgenommen, wenn er den einen oder anderen Persiflage-Wagen auf den Rosenmontagszügen 2024 gesehen hätte. Aber nicht etwa, weil er deren Aussagen hätte verteidigen wollen, sondern weil sich ihm eine andere Frage gestellt hätte: Können die Satire?

Karnevalswagen an Rosenmontag: Wie viel Politiker-Bashsing ist sinnvoll und erlaubt?

Tucholsky übersetzt den Begriff als „guten politischen Witz“ – in Wort oder Bild. Der bis zum Schluss geheimgehaltene Mottowagen, mit dem das Festkomitee Kölner Karneval den grassierenden Antisemitismus anprangern wollte, ist aber kein „guter Witz“, sondern eine schlecht ins Bild gesetzte politische Analyse.

„Antisemitismus ist in Deutschland schon lange tief verwurzelt, doch nun wird er zu einem rein palästinensischen Problem gemacht“, so schreibt das Festkomitee in einer kurzen Erklärung, nachdem sein Mottowagen einen Shitstorm in den sozialen Medien ausgelöst hat. Die erste Feststellung ist zweifellos richtig. Am zweiten Teil des Satzes hingegen kann man schon ernsthafte Zweifel anbringen: Der Antisemitismus wird nur mehr zu einem „rein palästinensischen Problem gemacht“? Ernsthaft? Wer sollen die sein, die das in dieser Form behaupten?

Alles zum Thema Rosenmontag

Auf dem Mottowagen zu sehen ist eine als Palästinenserin charakterisierte Frau mit einer Schärpe, auf der in gotischen Lettern das Wort „Antisemitismus“ steht. Begleitet wird sie von zwei Kettenhunden namens Hass und Gewalt. Per Handkuss wird diese Figur hofiert von einem blonden Jüngling in braunem Gewand, Symbolgestalt für die neue Rechte.

Kölner Mottowagen verschlimmbessert durch den Titel „Besuch der alten Dame“

Wer soll hier darauf kommen, dass diese Darstellung eine – falsche, von Neonazis missbrauchte – Zuschreibung aufs Korn nehmen soll und nicht das Phänomen des israelbezogenen Antisemitismus selbst, der in gefährlicher Vereinfachung mit „den“ Palästinensern gleichgesetzt zu sein scheint? Es sollte niemanden wundern, dass Kritiker nun hinter diesem Motiv „antipalästinensischen Rassismus“ wittern.

Der erwartete Transfer jedenfalls ist ohne eine ausführliche, voraussetzungsreiche Interpretation schlechterdings nicht zu leisten. Verschlimmbessert wird das Unterfangen noch durch den Titel „Besuch der alten Dame“. Kaum etwas hätte beim komplexen, hochgradig belasteten Thema Antisemitismus irreführender sein können als diese Anspielung auf Friedrich Dürrenmatts Drama über Illoyalität und Schuld, über Rache und die Korrumpierbarkeit des Menschen. Unpassende Rahmung, misslungene Bildsprache – damit ist der Anspruch an das Genre der Satire gleich doppelt verfehlt.

Plumpes Politikerbashing im Düsseldorfer Zug

Gleiches gilt auch für das plumpe Politikerbashing im Düsseldorfer Zug mit der Figur eines hirnlosen Kanzlers „Hohlaf Scholz“. Man wird dem Bundeskanzler vieles vorwerfen können, aber was hier illustriert werden sollte, fällt auf die Urheber zurück. Und hämische Kommentare zu diesem Motiv zeigen sehr genau, welche Leute daran ihre mehr als klammheimliche Freude haben.

Kurt Tucholsky konnte 1919 nicht ahnen, wie hundert Jahre später hemmungsloser Hass in massenhafter, ungefilterter Vervielfachung eine politische Klimakatastrophe befeuern, die soziale Kommunikation vergiften und damit die freiheitliche, demokratische Gesellschaft gefährden würde. Vielleicht hätte er der Satire sonst doch ein paar Empfehlungen zur freiwilligen Qualitätskontrolle gegeben. Satire darf alles. Nur nicht unter ihr Niveau fallen oder   denen in die Hände spielen, die   ihre Kritiker – wenn sie nur könnten – als allererstes mundtot machen würden.

KStA abonnieren