Herde grast im Grüngürtel24-Stunden-Job für Schäferin – Kölner Schafe sind mehr als Rasenmäher

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Eine Frau mit zwei Hunden hält ein Lamm auf dem Arm, hinter ihr Schafe

Melanie Pörschel-Kniffka ist derzeit mit ihrer Schafsherde am Decksteiner Weiher unterwegs.

Die rund 300 Schafe im Kölner Grüngürtel haben im Grunde nur eine Bestimmung: Beharrlich fressend die Wiesen zu kürzen.

Die berühmte Frage: „Ja, wo laufen sie denn?“, kann sich eigentlich nur auf Schafe beziehen, da sie oft wesentlich früher zu hören als zu sehen sind. Heute erklingt das nuancenreiche Määäh und Möööh in Decksteiner-Weiher-Nähe. Von Weitem muss man sehr genau schauen, um eine Herde auszumachen; denn die rund 300 Tiere haben sich an diesem Vormittag dicht beieinander stehend an eine kleine Anhebung geschmiegt und bilden eine farbliche Allianz mit dem verblichenen Herbstlaub. In wenigen Minuten jedoch wird der schwarze Max der grauen Masse Beine machen. 

Die Schafherde kreuzt eine Straße.

Die Schafherde kreuzt eine Straße.

Der mitteldeutsche Schäferhund ist mit seinen elf Jahren noch immer rasend fix und sorgt dafür, dass sich Schafe und Lämmer binnen Sekunden aus ihrer Morgenträgheit lösen. Nur wenige Augenblicke später beobachten die auf der Gleueler Straße anhaltenden Autofahrer staunend, wie schnell so eine große Herde die Fahrbahn überquert.

Kulinarische Beeinträchtigung durch Gänsekot

Wenn Schafe singen und nicht nur blöken könnten, hätten sie den Text des alten Bläck-Fööss-Songs wahrscheinlich umgedichtet. Nicht das Wasser, sondern „die Wiese vun Kölle sin joot“. Am heutigen Standort sogar besonders gut, sagt Schäferin Melanie Pörschel. Weiter südöstlich in Richtung Kalscheurer Weiher lockt kein Sterne-Menü; da mindern die zahlreichen Wildgänse durch ihre noch zahlreicheren Hinterlassenschaften das kulinarische Erlebnis.

Beharrlich fressend die Wiesen des Kölner Grüngürtels Meter für Meter zu kürzen, ist die Hauptaufgabe der Herde. Eine weitere besteht darin, den Boden zu härten, was ihnen dank ihrer harten Spalthufe besser gelingt als einer Walze. Pörschel hat die Herde vor drei Jahren von dem erfahrenen Stadt-Schäfer Ingolf Bollenbach übernommen, der weiterhin an vielen Tagen – so auch heute – unterstützend mit im Einsatz ist.

Das Alter eines Schafes erkennt man an der Anzahl der Zähne

Aufgrund der relativ milden Winter können die Tiere schon früh im Jahr auch nachts auf der Wiese bleiben. In heißen Sommern schützt sie ihr dickes Fell, weil Wolle eben nicht nur wärmt, sondern auch kühlt, wie der Schäfer betont. Geschoren werden sie deshalb erst, wenn es auf Herbst zugeht. Mit Schafwolle lasse sich jedoch schon lange kein Geld mehr verdienen, da der Scherer mittlerweile 3,50 Euro pro Tier verlange und der Ertrag bei nur etwa 80 Cent läge.

Die vier Personen sitzen mit ihren Hunden auf einem Baumstamm, hinter ihnen Schafe.

Elisabeth, Melanie und Fabian Pörschel. Hinten: Ingolf Bollenbach.

Was Melanie Pörschel anfangs selber nicht für möglich gehalten hätte, gelingt ihr inzwischen mühelos. Sie kann die Tiere unterscheiden. „Tatsächlich sieht jedes anders aus.“ Wenn die gelernte Pferdewirtin ihren Schützlingen beim Fressen genau aufs Maul schauen würde, könnte sie sogar sagen, wie alt jedes Tier ist.

Man erkenne es an der Anzahl der Zähne: sobald die Milchzähne ausgefallen sind, wachsen unten in der Mitte zwei breite Zähne, dann gesellt sich jedes Jahr abwechselnd rechts und links ein weiterer Zahn dazu, bis etwa im fünften Lebensjahr eine Rückentwicklung erfolgt, das Kauwerkzeug sukzessive ausfällt und sich die Tiere das Gras dann mit der Zunge reinmümmeln.

Die meisten Lämmer kommen im Winter zur Welt

Zurzeit liegt die Altersspanne der Herde zwischen zehn Tagen und sieben Jahren. Wer nun glaubt, dass das überall dicke Bäuche zu erkennen wären, weil schließlich pünktlich zum Fest noch all die Osterlämmer „schlüpfen“ müssen, erliegt einem Irrtum; einem, dem Schäfer Bollenbach immer wieder begegnet. „Die Leute glauben, Osterlämmer kämen an Ostern zur Welt“. Aber dann eigneten die sich natürlich noch nicht als Braten.

Tatsächlich werden die Schafe im Sommer gedeckt, tragen dann 154 Tage, also fünf Monate lang, und bringen ihre Kinder ab Ende November zur Welt, erklärt der Schäfer, bevor er Hund Max das Kommando gibt, ein paar besonders voreilige Exemplare davon abzuhalten, aufs Haus am See zuzustürmen.

Schafe unterscheiden sich nicht nur äußerlich, sondern seien auch vom Charakter sehr unterschiedlich. „Es gibt immer welche, die ständig aus der Reihe tanzen“, sagt Pörschel. Das seien natürlich nicht zwangsläufig die schwarzen, von denen es momentan circa zwanzig in der Herde gibt. „Schwarze Schafe sind genau wie die anderen auch“, betont Schäfer Bollenbach, „aber die bringen Unruhe“. Wenn ein Schwarzes losläuft, denken die anderen Schafe, da kommt der Hund.“

Verwechslungsgefahr also. Könnte es sein, dass Schafe tatsächlich nicht die hellsten Lichter auf der Torte sind? Falsch. Dass Schafe dumm seien, gehöre leider auch zu den besonders hartnäckigen Vorurteilen, meint Bollenbach. Er hält sie sogar für besonders intelligent. „Die kennen hier jeden Weg“ und würden sich problemlos allein zurechtfinden. Schafe seien grundsätzlich sanft, mitunter stur. Da gerade diese Tiergattung in vielen Religionen vorkommt, gibt es Redewendungen wie Unschuldslamm, lammfromm oder geduldig wie ein Lamm.

Hund blieb abends mit dem Halsband am Elektrozaun hängen

Genauso hartnäckig wie die Mär vom dummen Schaf hält sich das romantisierte Bild vom Schäferberuf, dem gerne eine geradezu meditative Komponente angedichtet wird. Melanie Pörschel muss nur an die zurückliegende Nacht denken, um dem entschieden zu widersprechen. Am späteren Abend hatte sich der Hund eines Spaziergängers mit dem Halsband am Elektrozaun der Schafe verfangen, die in dieser Woche die Nächte nahe der Gleueler Straße verbringen.

Bei dem Versuch, sich zu befreien, muss der Hund das Gehege aufgerissen haben. Aus Angst vor dem Hund entwichen die Schafe in alle Richtungen. Als Pörschels Telefon klingelte, war es bereits Mitternacht. Glücklicherweise hat der 14-jährige Sohn, der eine Ausbildung als Landwirt anstrebt, gerade Osterferien und konnte beim Einfangen helfen. Von dem Verursacher der nächtlichen Störung war nur noch ein Leuchthalsband am Zaun zu sehen.

„Man sollte nicht glauben, was hier manchmal nachts los ist“, betont die 41-jährige Schäferin lächelnd. Als sie die rund 300 Schützlinge von Bollenbach übernahm, wusste sie natürlich genau, dass sie keine reine Sonnenschein-Arbeit, sondern einen mitunter harten 24-Stunden-Job übernehmen würde. „Sieben Tage die Woche.“

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