Prozess nach Mord an Jaden (9)Marcel H. räumt Bluttaten ein

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Der Angeklagte Marcel H. (r) am Freitag im Bochumer Landgericht.

Bochum – Da steht sie nun. Neben ihrem Anwalt als Nebenklägerin und schaut ihn unverwandt an. Die Arme vor der Brust verschränkt, fixiert Jeannette F., 41, im brechend vollen Bochumer Schwurgerichtssaal unablässig den mutmaßlichen Mörder ihres Kindes. Mitunter kneift sie die Augen zusammen, um ihr Gegenüber besser scannen zu können. Ihr Blick spricht Bände: Zorn mischt sich mit visueller Attacke, wenn die  Mutter des getöteten, neunjährigen Jaden zur Anklagebank hinüber blickt. Es scheint, als wolle sie den 19-jährigen Angeklagten dazu zwingen, ihr in die Augen zu schauen.

Die Mutter nickt zustimmend, als der Staatsanwalt die Anklage verliest

Und so nickt die Mutter des Opfers zustimmend, als der Staatsanwalt die Anklage verliest und die Taten eines mutmaßlichen Doppelmörders schildert: Am 6. März soll Marcel H. ihren Jungen in den Keller des Nachbarhauses in Herne gelockt haben, um ihn mit 52 Messerstichen zu töten. Ein Akt reiner Mordlust, folgert der Ankläger. Mit seiner Bluttat brüstete sich der zierlich wirkende Angeklagte in einschlägigen Chatforen. Die Leiche im Hintergrund, hatte H. via WhattsApp ein grinsendes Selfie mit blutverschmierten Händen nebst einer perversen Audiobotschaft gepostet: „Ich habe gerade den Nachbarn umgebracht, fühlt sich ehrlich gesagt gar nicht so besonders an ...vielleicht locke ich noch einen Nachbarn rüber und mache das Gleiche. Dann habe ich zwei Morde auf dem Hals.“

Tags darauf musste Christopher W.,22, ein Bekannter des Angeschuldigten sterben. Bei ihm hatte sich der mutmaßliche Täter vor der Polizei versteckt. Der Freund, mindestens doppelt so schwer wie Marcel H., hatte per Facebook herausgefunden, dass nach seinem Gast gefahndet wurde. Grausame Szene müssen sich laut Anklage an jenem Morgen des 7. März in der Wohnung des zweiten Opfers abgespielt haben. Immer wieder rammte Marcel H. sein Klappmesser in den Körper seines Gastgebers. Die Obduktion wird später 68 Stiche feststellen. Am Ende, so der Staatsanwalt, sei Christopher W. verblutet.

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Ein Bild des ermordeten des neunjährigen Jungen Jaden steht kurz nach der Tat im März am Tatort.

Zwei Tage lang hielt sich der Angeklagte noch in der Wohnung seines Bekannten auf, dann legte er Feuer und stellte sich abends in einem Imbiß der Polizei. In stundenlangen Vernehmungen schilderte Marcel H. relativ emotionslos die Details des Tatgeschehens. Im Sitzungssaal aber zieht er es vor, zu schweigen. Starr schaut der etwa 1,70 große, schmächtige Angeklagte vor sich hin. Kaum einmal riskiert er einen Blick zu den Angehörigen der Opfer. Anders als auf den Bildern im Netz mit kurzgeschorener Frisur, hat er sich die Haare wieder wachsen lassen. Wüsste man es nicht besser, wirkt Marcel H. wie ein verstörter Schulbube, denn wie ein gefühlsloser Killer.

Der Angeklagte macht weder Angaben zur Person noch zur Tat

Sein Verteidiger Michael Emde gibt zum Auftakt eine kurze Erklärung ab. Der Mandant werde zunächst einmal weder Angaben zur Person noch zur Tat machen, „allerdings tritt er den Anklagevorwürfen in tatsächlicher Hinsicht nicht entgegen.“ Ein Raunen durchläuft den Zuschauersaal, in dem viele Bekannte und Angehörige der beiden Opfer sitzen. Als der  Anwalt sich für den Schlabberlook seines Klienten entschuldigt, weil die Familie sich geweigert hatte, dem Angeklagten ordentliche Kleidung zu übergeben, erntet er hämische Lacher aus dem Publikum.

Zu guter Letzt handelt Emde den Entschluss seines Mandanten ab, dass die Medien die Aufnahmen seines Konterfeis aus dem Gerichtssaal nicht pixeln müssen. Es sei ein Zeichen, führt der Jurist aus, dass Marcel H. „sich seiner Verantwortung in diesem Verfahren stellen will.“ Kopfschütteln allenthalben, viele der Zuschauer murren. „Was heißt denn hier Verantwortung ?“, zischt es, als der Vorsitzende Richter eine  Verhandlungspause einlegt. Draußen vor dem Sitzungssaal müssen die Familien der Opfer erst einmal durchschnaufen.

Jadens Mutter äußert sich

Umringt von Kameras gesteht Jadens Mutter, dass sie die Situation und die ganze Anspannung en wenig unterschätzt habe: „Es war härter als ich gedacht habe“, bekennt die 41-Jährige, die erst vor einer Woche auf Wunsch ihres getöteten Sohnes, ihren Lebenspartner geheiratet hatte. Der Angeklagte habe sie „drei bis vier Mal mal angeschaut, sonst hat er nur verstört zur Seite geguckt“, erzählt sie weiter.

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Die Mutter des getöteten Jungen.

„Er wird merken, dass ich ihm mit dem Anstarren nichts Gutes wünsche.“ In nachdenklichem Ton meint sie dann abschließend: „Ich will für Jaden stark sein, das gibt mir die Kraft, das durchzustehen. Und ich will mir nichts anmerken lassen, damit er nicht noch Genugtuung spürt.“

Ihr Anwalt Reinhard Peters hätte sich gewünscht, „dass der Angeklagte sich zu den Taten geäußert hätte, die Angehörigen wollen endlich wissen, warum  er so handelte.“ Der Prozess ist auf zehn Verhandungstage angelegt. Ein psychiatrisches Gutachten hält Marcel H. für schuldfähig. Da er mit 19 Jahren als Heranwachsender gilt, muss die Strafkammer im Laufe der Verhandlung entscheiden, ob er nach Jugend- oder nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wird. In ersterem Fall droht ihm ein Strafmaß von bis zu 15 Jahren, im letzteren käme neben Lebenslänglich die Festellung der besonderen Schwere der Schuld bis hin zur Sicherungsverwahrung in Betracht. Womöglich käme Marcel H. erst nach Jahrzehnten wieder frei.  

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