Familienstreit zum FestWarum an Weihnachten alte Konflikte immer wieder eskalieren

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Drei Finger dekoriert als Weihnachtsmänner spielen einen Streit nach.

Alles soll harmonisch sein, gerade dann gibt es meist Streit.

Zum Fest sind alle in der Familie in ihrer alten Rolle und in den alten Konflikten. Woran das liegt und was dagegen hilft.

Wir können noch so viele Jahre in einer anderen Stadt wohnen und längst eigene Familien haben, wenn wir an Weihnachten zurück zu den eigenen Eltern fahren, fallen wir alle in unsere alten Rollen als Kinder zurück. Das bedeutet meist auch, dass die alten Streitpunkte sofort wieder da sind. Natürlich sitzt der Bruder nur herum und hilft nicht mit, die Mutter findet keine Ruhe für ein Gespräch und der Vater kritisiert noch immer an Outfit und Berufswahl herum, obwohl man längst erwachsen ist und schon seit vielen Jahren arbeitet. Warum ist das so? Und gibt es eine Chance, die Weihnachtstage einfach entspannt im Kreis der Familie zu verbringen, ohne dass die zum Teil Jahrzehnte alten Konflikte wieder aufbrechen?

Bekanntes und Erlerntes wird immer wiederholt – vor allem Weihnachten

Wir Menschen scheinen darauf programmiert zu sein, Bekanntes und Erlerntes immer wieder zu wiederholen. Das gilt besonders für die Weihnachtstage, an denen uns Gewohntes und Vertrautes besonders wichtig ist. Wahrscheinlich wären wir sogar enttäuscht, wenn es an den Festtagen mit der Familie nicht so laufen würde wie jedes Jahr.

In der Medizin kennt man für diesen Zustand das Schlüssel-Schloss-Prinzip. Es beschreibt ein Phänomen, dass zwei oder mehrere komplementäre Strukturen räumlich zueinander passen müssen, um eine bestimmte biochemische Funktion erfüllen zu können – so wie es zu jedem Schloss einen bestimmten Schlüssel gibt, mit dem man es öffnen kann. Übertragen auf die Weihnachtszeit zu Hause, bei der alle wieder zusammen kommen, heißt das: Es braucht nur ein bestimmtes Stichwort, um wieder in die alte Rolle zu fallen und sich über Dinge zu streiten, die einen schon als Kind aufgeregt haben.

Offene familiäre Konflikte werden in alter Umgebung sichtbar

Das führt bei vielen Menschen dazu, dass sie sehr gespaltene Gefühle dem Weihnachtsfest gegenüber haben. „Viele Patienten befassen sich bereits ab Oktober mit dem Weihnachtsfest. Da kann ich in meiner Praxis eine Häufung des Themas beobachten“, berichtet Gebhard Hentschel, Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut sowie Bundesvorsitzender der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung (DPtV). Eine wichtige Frage sei auch: „Mit wem soll ich feiern? Ertrage ich es, mit meinem Bruder an einem Tisch zu sitzen? Offene soziale und familiäre Konflikte rücken in die Betrachtung.“

Die offenen familiären Konflikte werden natürlich besonders sichtbar, wenn sich die Familienmitglieder wieder in ihrer alten familiären Umgebung befinden. Wenn sich die Familie nur in großen Abständen trifft, konzentrieren sich die ungelösten Konflikte auf wenige Tage. Dazu kommt der Wunsch nach einem harmonischen Weihnachtsfest. „Es gibt den Anspruch, dass an Weihnachten intensive und harmonische Tage mit der Familie verbracht werden“, sagt Prof. Dr. Siegfried Preiser von der Psychologischen Hochschule Berlin über den ewigen Streit an Weihnachten. Und weiter: „Sobald etwas nicht klappt, ist das schnell eine kleine Katastrophe.“

Der Wunsch nach Harmonie steht im Weg

Dieser Wunsch nach Harmonie erzeuge Klärungsbedarf, meint der Psychotherapeut Gebhard Hentschel. Er rät: „Es ist daher gut, sich vor dem Fest den dringenden Fragen zu stellen. Sonst ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es unter dem Weihnachtsbaum Streit gibt.“ Übersetzt bedeutet das, vielleicht schon vor den Festtagen zum Hörer zu greifen und mit den Eltern und Geschwistern die dringendsten Fragen aufzuarbeiten. Das können Alltagsfragen sein oder auch tiefer liegende Probleme, die einen das ganze Jahr über belasten.

Eine andere Möglichkeit wäre, an Weihnachten einfach entspannt zu bleiben, die Dinge nicht zu ernst zu nehmen und angespannte Situationen mit einem kleinen Scherz aufzulockern. Oder man geht einfach auf Distanz und legt ab und zu eine Pause von der Familie ein, zum Beispiel bei einem Spaziergang im Wald. Auch wenn man sich nur selten sehe, müsse man nicht die ganze Zeit aufeinander hocken. „Die Familienmitglieder sollten auch mal für sich sein können und individuelle Pläne haben“, sagt Psychologe Preiser. Denn erst aus der Distanz heraus ist es möglich, andere Menschen, die einem sehr nahe gekommen sind und die man schon ganz lange kennt, wieder zu mögen.

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