Tiere und Pflanzen in NRWDiese invasiven Arten bedrohen die Natur

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Invasive Arten in Deutschland

„Menschen und Natur sind durch invasive gebietsfremde Arten in allen Regionen der Erde bedroht“‘, schreibt derWeltbiodiversitätsrat IPBES in seinem Bericht.

Gebietsfremde Tiere und Pflanzen nehmen den Lebensraum heimischer Pflanzen ein. Experten sehen die biologische Vielfalt bedroht.

Einst war der Japanische Staudenknöterich ein Importschlager. Üppiges Grün, große weiße Blütenstände, robuster Wuchs – das machte ihn ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa zum Renner unter Hobbygärtnern, Bauern oder Imkern. Die Pflanze, die eigentlich im ozeanischen Ostasien zu Hause ist, eignete sich ausgezeichnet als Sichtschutz, als Futterpflanze, als Bienenweide. Heute ächzen Naturschützer angesichts des schnellen Wuchses und der Unverwüstlichkeit dieser Knöterich-Art, die zwei bis drei Meter hoch wird und hierzulande allen heimischen Pflanzen in ihrer Nähe das Sonnenlicht klaut.

Susanne Rohlfing

Susanne Rohlfing

Freie Journalistin mit breitem Themenspektrum: Sport, Familie, Bildung, Gesundheit, Fitness, Nachhaltigkeit. Hat in Köln Sport mit dem Schwerpunkt Publizistik studiert, schreibt seit 2002 auch für den...

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Das macht den Japanischen Staudenknöterich zu einer sogenannten „gebietsfremden invasiven Art“. Das sind Pflanzen, Pilze oder Tiere, die seit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus von ihren angestammten Kontinenten zu anderen verfrachtet wurden, sich dort ausbreiteten und heimische Arten oder Ökosysteme gefährden.

In NRW bedrohen 61 invasive Arten die Natur

Die Eroberung Amerikas 1492 gilt als Wendepunkt, weil seither der Mensch zunehmenden Einfluss auf die Verschleppung von Arten hat. Der weltumspannende Güterverkehr kam beschleunigt ins Rollen und so manche Art gelangte im Schlepptau des Menschen zu neuen Erdteilen, sei es als blinder Passagier oder als erwünschter Exot. Diese Einwanderer nennt man insgesamt Neobiota, Tiere heißen Neozoen und Pflanzen Neophyten.

Nicht alle von ihnen sind invasiv. In Deutschland seien mittlerweile etwa 2600 gebietsfremde Arten registriert, sagt Hanno Seebens vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt am Main. Das Bundesamt für Naturschutz in Bonn schätze aber nur 90 Spezies als Gefährdung ein. Für Nordrhein-Westfalen beziffert das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) die Zahl der etablierten Neophyten (Pflanzen) auf 237, etablierte Neozoen (Tiere) gebe es etwa 200. Dazu kämen schätzungsweise 550 unbeständige Neozoen, also Tiere, die gelegentlich wild auftreten, sich bislang aber nicht über mehrere Generationen durchsetzen konnten. 61 Arten listet das Lanuv als in NRW vorkommend und invasiv auf.

Wirtschaft, Ernährungssicherheit, Wasserversorgung und menschliche Gesundheit werden durch invasive gebietsfremde Arten „tiefgreifend und negativ beeinflusst“

Der Weltbiodiversitätsrat IPBES hat kürzlich einen Bericht zum Stand der Wissenschaft zu invasiven Arten veröffentlicht und zeichnet darin ein dramatisches Bild: „Menschen und Natur sind durch invasive gebietsfremde Arten in allen Regionen der Erde bedroht“‘, schreibt der internationale Verbund von Expertinnen und Experten. Und weiter: „Invasive gebietsfremde Arten verursachen dramatische und in einigen Fällen unumkehrbare Veränderungen der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme, die in allen Regionen der Erde zu nachteiligen und komplexen Folgen führen. Diese schließen lokales und globales Artensterben mit ein.“ Wirtschaft, Ernährungssicherheit, Wasserversorgung und menschliche Gesundheit würden durch invasive gebietsfremde Arten „tiefgreifend und negativ beeinflusst“.

Das Lanuv NRW schreibt auf seinem Neobiota-Portal: „Bisher ist noch keine Pflanzen- oder Tierart in Nordrhein-Westfalen nachweislich in Folge einer biologischen Invasion ausgestorben.“ Handlungsbedarf bestehe dennoch. Experte Seebens verweist auf den IPBES-Bericht, demnach seien 16 Prozent aller globalen Aussterbeereignisse von Tieren und Pflanzen ausschließlich von invasiven Arten verursacht. Nach Angaben der International Union for Conservation of Nature (IUCN) seien bei 60 Prozent der Aussterbe-Ereignisse invasive Arten maßgeblich beteiligt. Global gesehen fänden sich die meisten Fälle auf Inseln und nur manche in Europa, das aber wiederum im Vergleich zu anderen Kontinenten die höchste Anzahl an gebietsfremden Arten aufweise. „Die ökonomischen Kosten bewegen sich im Bereich von Milliarden Euro jährlich“, sagt Seebens: „Daher würde ich nicht sagen, dass biologische Invasion in Europa ein geringeres Problem ist als in anderen Gegenden.“

„In vielen Bereichen wie an der Sieg ist der Zug abgefahren“

Dr. Manfred Aletsee, Mitglied im NRW-Landesvorstand des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) und Leiter der Nabu-Naturschutzstation Aachen, rückt dem Japanischen Staudenknöterich mit seinem Team mit Teichfolie zu Leibe. Nur wenn die Pflanze über drei bis vier Jahre vollständig vom Sonnenlicht abgeschottet wird, stirbt sie ab. Kleinste Löcher in der Folie „bemerken“ die abgedeckten Triebe, sie wachsen dort hin und tanken Kraft. Die Pflanze bildet bis zu zwei Meter in die Erde reichende Ausläufer, sogenannte Rhizome. Schon kleinste Stücke davon können zu eigenen Beständen heranwachsen. So hat sich die Staude über in der Natur abgeladene Gartenabfälle oder mit bei Bauarbeiten verschobenem Erdmaterial verbreitet. „In vielen Bereichen wie an der Sieg ist der Zug abgefahren“, sagt Aletsee. Da hat die Staude die artenreiche Flussaue zu großen Teilen in eine Monokultur verwandelt und damit auch heimischen Tieren den Lebensraum genommen. Die Teichfolien-Methode funktioniert hier nicht mehr, sie klappt nur bei kleineren Beständen.

Der Staudenknöterich verdrängt heimische Pflanzen.

Der Japanische Staudenknöterich wurde einst als Zierpflanze bewusst in unseren Gärten eingeführt.

In Köln sind die bekanntesten tierischen Einwanderer die grünen Papageien – die Halsbandsittiche. Bekämpft würden sie nicht von der Stadt Köln, erklärt Thorsten Florin-Bisschopinck von der Unteren Naturschutzbehörde. Aber wenn eine Kolonie im städtischen Umfeld für Verschmutzung sorge oder besonders auffällig andere Höhlenbrüter wie Stare, Meisen oder Spechte verdränge, „überzeugen wir sie schon mal, sich einen anderen Schlafplatz zu suchen“.

Ein grüner Halsbandsittich sitzt an einem Baumloch am Inneren Grüngürtel in Köln.

Ein grüner Halsbandsittich sitzt an einem Baumloch am Inneren Grüngürtel in Köln.

Die Nutria, eine aus Südamerika stammende Nagetierart, wurde einst wegen ihres Fells ins Land geholt. Heute gibt es überall in Deutschland frei lebende Populationen, auch in Köln am Rhein. „Sie sind bei uns aktuell aber unproblematisch“, sagt Florin-Bisschopinck. Andernorts fressen Nutrias ganze Schilfgebiete und damit schützenswerte Lebensräume weg.

Ein Nutria sitzt an einem Fluss.

Ein Nutria sitzt an einem Fluss.

Im Blick haben die Kölner Naturschützer die Asiatische Hornisse und die Tigermücke. Die große Hornissenart, die gern hiesige Bienenstöcke ausräubert, wurde in Köln bereits gesichtet. Die Tigermücke, Überträgerin des Dengue-Fiebers, gibt es in Köln noch nicht. „Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie hier auftaucht“, sagt Florin-Bisschopinck. Der Klimawandel macht es möglich. Und ist sie einmal da, wird es schwer, sie wieder loszuwerden, da der Mücke schon kleinste Gewässer zur Fortpflanzung ausreichen.

Asiatische Hornissen (Vespa velutina nigrithorax) sammeln sich an einem Ausgang ihres Nestes.

Asiatische Hornissen (Vespa velutina nigrithorax) sammeln sich an einem Ausgang ihres Nestes.

Im Rechtsrheinischen führt die Stadt bereits seit einigen Jahren einen hartnäckigen Kampf gegen amerikanische Krebsarten, die den heimischen Edelkrebs verdrängen. „Er steht vor dem Aussterben“, sagt Manfred Aletsee, der in der Nähe von Aachen ebenfalls mit Krebssperren versucht, die heimische Art von der amerikanischen zu trennen. Das Problem: amerikanische Arten wie der Signalkrebs bringen einen Pilz mit, der ihnen selbst nichts ausmacht, den Edelkrebs aber tötet. Der Handel mit den amerikanischen Arten ist inzwischen verboten, es kommt aber immer noch vor, dass die invasiven Arten aus Aquarien oder Gartenteichen in Bäche oder Teiche ausgesetzt werden.

Eine Hand hält einen europäischen Edelkrebs.

Naturschützer machen sich Sorgen um den europäischen Edelkrebs.

„Invasive gebietsfremde Arten gelten als eine der fünf wichtigsten direkten Triebkräfte des Wandels der Natur weltweit, neben Land- und Meeresnutzungsänderungen, der direkten Ausbeutung von Organismen, dem Klimawandel und der Umweltverschmutzung“, schreiben die IPBES-Experten in ihrem Bericht. Auf EU-Ebene gibt es seit 2014 eine Verordnung, in der besonders problematische Arten aufgelistet werden und die den Mitgliedstaaten auferlegt, gegen diese Arten vorzugehen. Der Japanische Staudenknöterich findet sich darin nicht. Manfred Aletsee ärgert das. Die Pflanze sei ein „riesiges ökologisches Problem“, sagt er, sie verändere die Uferlandschaft an hiesigen Flüssen vollständig. Weil sie so schwer zu bekämpfen sei, sperrten sich Länder wie Deutschland oder die Niederlande aber dagegen, sie auf die EU-Liste der invasiven Arten zu setzen. Denn dann wäre eine Bekämpfung Pflicht. Und die wäre mühsam und teuer.

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