Wie EinheimischeWas wir anstellen, um nicht als Touris aufzufallen

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Mit Hut und Hawaiihemd: So sehen Touristen dem Klischee nach aus.

Mit Hut und Hawaiihemd: So sehen Touristen dem Klischee nach aus.

Sie kommen aus dem Ausland, sie sind fremd, sie kennen sich nicht aus: Touristen sind der komplette Gegensatz von Einheimischen; Touristen sind Menschen, die nicht dazu gehören. Vielleicht ist das der Grund, warum wir als Urlauber überhaupt nicht gern „Tourist“ genannt werden. Schließlich wollen wir nicht als hinterwäldlerische Ausländer gelten, die kein Fettnäpfchen auslassen. Wir wollen weltgewandt herüberkommen und zeigen, dass wir genauso viel von heimischen Sitten und Bräuchen verstehen, wie Locals.

Wer sich als Tourist zu erkennen gibt, der signalisiert: Ich bin Teil einer Inszenierung. Ich habe einen Urlaub gebucht, ich klappere Sehenswürdigkeiten ab, um einen Punkt von meiner „100 Orte, die Sie sehen sollten, bevor Sie sterben“-Liste streichen zu können. Wer sich als Reisender möglichst stark an örtliche Gegebenheiten anpasst, vermittelt dagegen: Ich suche das authentische Erlebnis, ich bin ein Individuum, ich wandle im Urlaub nicht auf ausgetretenen Pfaden.

Denn was freut uns als Urlauber mehr, als von Einheimischen angesprochen und nach dem Weg gefragt zu werden, weil wir aussehen wie einer von ihnen? Also tun wir alles, um unser Touristsein zu verbergen.

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Beim Couchsurfing geht Authentizität über Bequemlichkeit.

Unterkunft

Im schicken Grand-Hotel direkt an der Strandpromenade übernachten? Kommt nicht infrage. Da steigen doch nur Touristen ab, noch dazu solche, die heraushängen lassen, dass sie es sich leisten können, hier zu residieren. Wir couchsurfen lieber bei Locals, schlafen eben zu zweit auf einem schmalen Sofa, wenn wir dafür Kontakt zu Einheimischen kriegen. Oder wir buchen gleich eine private Übernachtungsmöglichkeit und ziehen in das Gästezimmer oder die Wohnung eines echten Londoners, Leipzigers oder Lissaboners, der gerade auf Dienstreise ist. Dass er dafür wenig gastfreundlich und uneigennützig Geld verlangt, verdrängen wir einfach.

Kleidung

Wie erkennt man einen Touri auf jeden Fall? Richtig: Indem man sich eine Baseball-Kappe auf den Kopf setzt, eine dicke Spiegel-Reflex-Kamera um den Hals hängt und zu kurzen Hosen weiße Socken in Sandalen trägt. Was für Amerikaner auf Europa-Reise vielleicht normal ist, würde deutschen Urlaubern im Traum nicht einfallen. Stattdessen „tarnen“ wir uns in Jeans und Chucks, so gut wir können. Und die Kamera holen wir natürlich nur dann hervor, wenn wir gerade ein Foto machen wollen.

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Sightseeing-Bus mit Touristen in Palermo

Fortbewegung

Welcher Einheimische hat in seiner Stadt schon einmal eine Hop-on-Hop-off-Busrundfahrt gemacht? Eben. Also tun wir das auch nicht. Genauso uncool: Auf einem Segway in einer Gruppe Touristen durch die Altstadt düsen oder sich von einem Local in einer Fahrradrikscha von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit kutschieren lassen. Wir bewegen uns lieber so fort, wie es alle anderen auch tun: Zu Fuß, mit der U-Bahn oder dem Bus. Dass wir dabei schon mal zehn Minuten das Streckennetz studierend am Gleis herumstehen und uns die Einheimischen schief angucken: Geschenkt.

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Sprache

Im direkten Kontakt spielt natürlich die Sprache eine entscheidende Rolle. Anders als Amerikaner und Briten würden wir niemals auf die Idee kommen, andere Menschen im Ausland in unserer Muttersprache anzureden. Natürlich weil wir wissen, dass uns dann eh niemand verstehen würde. Aber auch weil wir dazu viel zu stolz wären. Schließlich lernen wir in der Schule mindestens zwei Fremdsprachen und möchten uns auf Reisen als Weltbürger geben. Damit wir unsere Pizza wortgewandt auf Italienisch bestellen können, pauken wir vor dem Urlaub einfach noch mal Vokabeln – so wie damals in der Schule.

Beste Sicht auf den Hafen und nah am Ortskern: Das deutet auf eine Touristenfalle hin.

Beste Sicht auf den Hafen und nah am Ortskern: Das deutet auf eine Touristenfalle hin.

Essen

Touristen essen da, wo sie gerade sind. Nach einem anstrengenden Besuch des Kolosseums wollen sie nicht lange nach einem Lokal suchen. Sie haben Hunger und begeben sich schnurstracks ins nächstgelegene Restaurant. Dass vor dem Eingang ein Schild prangt, das eine „authentische Küche“ verspricht, halten Touristen für ein Qualitätsmerkmal. Über eine Speisekarte in vier Sprachen wundern sie sich nicht. Und die teuren Preise für Schweinshaxen, Burger und Pizza fallen ihnen gar nicht auf: Schließlich haben sie den Wechselkurs nicht im Kopf und können die Preise daher auch nicht umrechnen. Reisende, die da essen wollen, wo es die Locals tun, nehmen einige Mühen in Kauf: Sie fragen vor dem Urlaub ihre alten Erasmus-Freunde oder ausländische Kollegen nach Insider-Tipps, recherchieren im Internet nach Szene-Vierteln  und gurken vor Ort eine halbe Stunde mit den ÖPNV zur angesagten Trattoria. Hauptsache, Pizzabäcker Giovanni  kann kein Englisch und rund herum sitzen ausschließlich italienische Gäste.

Unterhaltung

Stupide Sehenswürdigkeiten abklappern, um ein Selfie vor jedem Wahrzeichen bei Facebook posten zu können? Nichts für richtige Reisende. Wer im Urlaub wirklich einmalige Erlebnisse sucht, geht dahin, wo er keine Touristen vermutet: Meistens handelt es sich dabei um Orte außerhalb der Altstadt. Wir schlendern über den lokalen Markt, streunen durch den Park oder leihen uns ein Fahrrad, um die Viertel abseits der Hauptstraßen zu erkunden. Wenn wir dann abends ein Bild bei Facebook posten, dann von uns Arm in Arm mit dem einheimischen Gemüsehändler. Was wir unseren Freunden zu Hause dabei nicht verraten: Dass unser schlechtes Gewissen uns dazu gebracht hat, dem guten Mann drei Tüten abzukaufen, weil wir mehr Geld haben als er. Was wir damit jetzt nur machen? Im Hotelzimmer verschimmeln lassen? Ach nee: Wir couchsurfen ja natürlich. Und werden deshalb heute Abend in der Landessprache mit unserem einheimischen Gastgeber plaudernd, einfach eine leckere Gemüsepfanne zubereiten.

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