EnergiewendeBewohner eines Hauses in Euskirchen müssen nicht mehr auf Verbrauch achten

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Zwei Männer stehen vor Tanks, die mit Wasserstoff gefüllt sind.

In dem roten Tank befindet sich Wasserstoff, der als Speichermedium für Energie genutzt werde, erklären Julian Suteu (v.l) und Joachim Wilsdorf.

Die Energie kommt vom Dach und wird per Wasserstoff gespeichert. Das ist erst der Anfang rund um den ehemaligen Euskirchener Schlachthof.

An der Carl-Schurz-Straße in Euskirchen steht ein Reihenhaus, das sich auf den ersten Blick nicht abhebt von den anderen Doppelhaushälften an der Straße. Vor der Tür ein Parkplatz, hinter dem Haus ein kleiner Garten mit Terrasse.

Ein junger Beaver Yorkshire Terrier rennt herum und verteilt sein Spielzeug im Garten. Die Nähe des blubbernden roten Tanks neben dem Haus meidet der Hund. Doch sie könnten Teil einer künftigen Energieversorgung sein.

Es fühlt sich einfach befreiend an, nicht ständig auf den Stromverbrauch achten zu müssen.
Gisela Wilsdorf, Bewohnerin

„In dem roten Tank befindet sich Wasserstoff“, erklärt Joachim Wilsdorf den Besuchern. Er ist Geschäftsführer der umstro GmbH, einer Firma, die sich der klimagerechten Energieversorgung für Wohn- und Gewerbegebiete verschrieben hat. Außerdem wohnt er in dem Einfamilienhaus an der Carl-Schurz-Straße, das mit Hilfe von Wasserstoff komplett unabhängig ist von der öffentlichen Energieversorgung.

„Unsere Geräte lassen wir oft einfach an – also auf Stand-by“, sagt seine Frau, Gisela Wilsdorf: „Es fühlt sich einfach befreiend an, nicht ständig auf den Stromverbrauch achten zu müssen.“ Außerdem, ergänzt sie, produziere ihr Haushalt durch seine alternative Energieversorgung keine schädlichen Emissionen. Und das biete dann einfach eine ganz andere Lebensqualität, sagt sie. „Ich habe kaum noch ein schlechtes Gewissen – was die Umwelt betrifft jedenfalls.“

Im Wasserstoff wird Energie für den Winter gespeichert 

Julian Suteo, der verantwortliche Projektleiter bei Umstro, deutet unterdessen auf die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und erklärt: „Dort wird die Energie erzeugt.“ Die Solaranlagen produzierten Strom aus der Sonne, erklärt Suteo. Diese Energie werde dann gespeichert: zum einen in Batterien, zum anderen in Wasserstoff. Das ist der Hauptspeicherort.

Im Winter, wenn die Sonne nicht mehr so stark scheint, könne diese gespeicherte Energie dann nutzbar gemacht werden, erklärt Suteu. Dazu werde eine Brennstoffzelle benötigt. Die stehe in der Carl-Schurz-Straße im Keller.

Euskirchen: Solaranlagen auf dem Dach produzieren Strom für das Haus

Diese Brennstoffzelle könne das gespeicherte Gas wieder in Strom- und Wärmeenergie umwandeln. So sei auch im Winter für Strom und Warmwasser gesorgt und die Wilsdorfs könnten in ihrem Einfamilienhaus durch das ganze Jahr hindurch komplett autark leben.

Dasselbe Prinzip, das gerade in dem Einfamilienhaus in der Carl-Schurz-Straße angewendet wird, soll künftig auch in einem Mehrfamilienhaus ganz in der Nähe genutzt werden. Die Bauarbeiten sind bereits im Gange.

Markus Ramers spricht beim Wasserstoff-Netzwerk-Treffen

Die Nutzung von Wasserstoff in der Gebäudewirtschaft ist für Landrat Markus Ramers ein wichtiger Schritt in Richtung klimaneutrale Zukunft.

Und die Erfahrungen, die sowohl in dem Einfamilien-, als auch in dem Mehrfamilienhaus gesammelt werden, fließen dann in das große „Schlachthofprojekt“ ein. Oliver Knuth, der Geschäftsführer der Euskirchener Baugesellschaft (Eugebau) erklärt dieses Projekt: „Wir wollen den alten Schlachthof zu einem Kraftwerk umbauen.“ Auf die Dächer kämen die Solaranlagen, das Speichermedium für die gewonnene Energie sei ebenso wie im Einfamilienhaus der Wasserstoff.

„Das Kraftwerk Schlachthof soll dann künftig die umliegenden Häuser mit Energie versorgen“, sagt Knuth. Der Bebauungsplan liegt bereits vor. Der Schlachthof liegt darauf in der Mitte, um ihn herum stehen die zu versorgenden Häuser. Mit dem Bau wird gerade begonnen. Knuth: „Für das erste Gebäude links neben dem Schlachthof liegt schon ein Bauantrag vor.“ Alle umgebenden Häuser, so Knuth, sollten dann so autark sein wie das Einfamilienhaus der Wilsdorfs.

Oliver Knuth: Sonne ist immer ausreichend vorhanden

Bei der Wasserstoffherstellung und -speicherung sowie bei der anschließenden Rückverstromung geht aber immer auch Energie verloren. In laufenden Debatten über gebäudewirtschaftliche Wasserstofflösungen gehe es daher auch immer um deren Wirtschaftlichkeit, sagt Oliver Knuth.

Doch muss man sich ihm zufolge darüber zunächst keine Gedanken machen, denn Sonne gebe es genug, und selbst wenn bei der Energieübertragung Verluste gemacht würden, seien es immerhin keine, die mit Geld bezahlt werden müssten. Auch hier gelte, so Knuth: „Sonne haben wir ausreichend.“

Landrat Markus Ramers weiß sehr wohl, dass es noch ein paar Jahre dauern werde, „bis wir von einer flächendeckenden Durchdringung der Wasserstoff-Technologie sprechen können“. Trotzdem findet der Landrat, dass diese Projekte ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung klimaneutrale Versorgung für die Zukunft sind – auch wenn sie aktuell noch keine Wirtschaftlichkeit in allen Bereichen aufwiesen.

Euskirchener Landrat Markus Ramers plädiert dafür, Dinge auszuprobieren

„Wenn wir das ganze marktfähig machen wollen, dann können wir anhand dieser Beispiele lernen, wo genau es noch hakt“, so Ramers: ob an den Thermen, den Leitungen, den Häusern oder den lokalen Verteilernetzen. „Aber ich bin mir sicher, dass wir weiterkommen, wenn wir Dinge ausprobieren“, zeigt sich der Landrat überzeugt. Zunächst sei das Einfamilienhaus in der Carl-Schurz-Straße also nur ein Projekt, um zu zeigen, was gerade möglich ist, erklärt auch Julian Suteu.

Doch die Besucher des Wasserstoffnetzwerktreffens verhalten sich im Garten der Wilsdorfs nicht wie in einer Ausstellung, sondern eher wie in einer Kaufhalle. Statt distanzierten theoretischen Fragen zur Funktionsweise stellen sie praxisorientiert die Fragen eines interessierten Käufers. Ein Besucher fragt etwa, wie groß der Tank sei, und wo man den hinstellen könne. Ein anderer möchte wissen, ob das gefährlich sei und wie lange die Einrichtung der Brennstoffzelle im Keller dauere.

Ein Dritter fragt: „Kann man neben dem Tank rauchen?“ Und immer wieder fällt die Frage, wie viel das Ganze denn koste. Den Gesichtern der Besucher des Hauses an der Carl-Schurz-Straße ist zu entnehmen, wie sehr sie das Thema beschäftigt. Sie überlegen, wie sich die ganze Anlage inklusive Wasserstofftank und Brennstoffzelle in ihren eigenen Häusern machen würde, ob sie sich das leisten können und ob das vielleicht auch Nachteile haben könnte.

Besonders der Autonomieaspekt fasziniert. Denn was Gisela Wilsdorf über das sorgenfreie Nutzen des Stroms, über das angeschaltet lassen der Geräte, die Klimaneutralität ihres Haushalts und das von Stromanbietern unabhängige Funktionieren des Einfamilienhauses sagt, das klingt für viele auch verlockend. Vor allem angesichts der Klimaprobleme, der Krisen und der Abhängigkeit vom Markt.


Wasserstoff wird für den Kreis Euskirchen immer wichtiger

Im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs, sagt Landrat Markus Ramers, habe sich die Wasserstoffnutzung vor Ort bereits etabliert.

Der Regionalverkehr Köln, der auch mit Linien im Kreis vertreten sei, habe die größte Wasserstoffbusflotte Europas. Auch im benachbarten Kreis Düren seien vor kurzem neue Wasserstoffbusse angeschafft worden. Die Strecke von Düren nach Euskirchen soll künftig mit Wasserstoffzügen ausgestattet werden.

Auch im Schwerlastverkehr sei eine Umstellung auf Wasserstoff in vollem Gange, sagt Ramers. In der Region gebe es bereits Interessenten und Betriebe, die das umsetzen wollen. Auch im Bereich der Industrie bekundeten immer mehr Betriebe Interesse.

Weil der Kreis mit der e-regio zusammenarbeitet und die Produktion von Wasserstoff vor Ort möglich sei, werde nun geschaut, in welchen Bereichen Pläne konkretisierbar seien.

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