Über die Leere sprechenSelbsthilfegruppe zum Thema Depression gegründet

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Lebt seit Jahren mit Depressionen: Christian Gehlen aus Harperscheid.

Lebt seit Jahren mit Depressionen: Christian Gehlen aus Harperscheid.

Schleiden-Harperscheid – Irgendwann habe er einfach gar nichts mehr gespürt, sagt Christian Gehlen. Keine Freude, kein Schmerz – nichts mehr. „Du bist einfach nur leer“, versucht er die Situation zu beschreiben. Christian Gehlen ist 33 Jahre alt, verheiratet, hat einen Sohn, zwei Hunde und ein Eigenheim – und er hat Depressionen. „Es ist Horror, wenn man es hat. Das wünsche ich meinem schlimmsten Feind nicht“, sagt er.

„Es geht um den Erfahrungsaustausch“

Nun hat er zusammen mit der Caritas für die Region Eifel eine Selbsthilfegruppe zu dem Thema gegründet. „Ich will jetzt nicht zum Hobby-Therapeuten mutieren. Es geht um den Erfahrungsaustausch“, erklärt Gehlen.

Es tue einfach gut, mit anderen Betroffenen zu reden. Sie könnten verstehen, wie es einem geht. Das falle Außenstehenden oft schwer.

Gehlen lacht viel, er wirkt ausgeglichen. Doch er hat auch viel schlechtere Zeiten erlebt – Zeiten, in denen er wegen der Depressionen das Bett nicht verlassen konnte. Er spricht offen über seine Krankheit.

Selbsthilfegruppe für Betroffene

Jeden zweiten Dienstag trifft sich die Selbsthilfegruppe um 18.30 Uhr im Caritas-Haus Schleiden. Das nächste Treffen findet am Dienstag, 21. Januar, statt.

Die Gruppe leitet Christian Gehlen. Sie soll ein geschützter Raum sein für jeden, der über seine Krankheit sprechen will. Beim ersten Treffen seien neben ihm noch sieben andere da gewesen, sagt Gehlen. Es seien Männer und Frauen im Alter von 16 bis 62 Jahren dabei.

Im Kreis Euskirchen können sich Betroffene nicht nur an die Caritas, sondern auch an den sozialpsychiatrischen Dienst, Tel. 02 25 1/5 14 66, oder an ihren Haus- oder Facharzt wenden.

Hilfe für Betroffene gibt es außerdem bei der Deutschen Depressionshilfe, Tel. 08 00/ 3344533, oder der deutschlandweiten Telefonseelsorge unter 08 00/1110111. (jre)

www.caritas-eifel.de

kontakt@depressionhilfe-sle.de

Zu viel Arbeit, zu viel Stress

Seine erste depressive Phase habe er 2013 erlebt. Der Auslöser: zu viel Arbeit, zu viel Stress. Seit dem Beginn seiner Ausbildung in einem Autohaus habe er darauf hingearbeitet, den Betrieb eines Tages zu übernehmen.

Er machte seinen Meister und seine damalige Chefin habe ihm signalisiert, dass er irgendwann ihr Nachfolger werden solle. Doch immer wieder habe sie ihn vertröstet. Daraufhin habe er noch härter gearbeitet, noch mehr von sich verlangt.

Dann sei der Winter gekommen, die dunkle Jahreszeit – und es habe wieder nicht geklappt mit der Übernahme des Betriebs. „Dann ging es mit mir bergab“, sagt Gehlen.

Gehlen war immer ehrgeizig

Schon als Kind sei er immer sehr ehrgeizig und leistungsorientiert gewesen, so Gehlen.

Der Ehrgeiz habe ihn weitergebracht, aber eben auch dazu beigetragen, dass er depressiv geworden sei. „Ich war ganz unten, an einem Punkt, an dem gar nichts mehr ging“, erzählt er von seiner ersten depressiven Phase.

Es folgen Therapien und Klinik-Aufenthalte. Besonders haben Gehlen die Gespräche mit seiner Frau und mit seinen Freunden geholfen. 

Auch aus diesem Grund habe er die Selbsthilfegruppe gegründet: „Ich mache das auch ganz klar aus Eigennutz.“ 

In guten Zeiten schiebe er seine Krankheit oft weit weg und verfalle wieder in alte, ehrgeizige Muster. Durch die Selbsthilfegruppe, so seine Hoffnung, lasse er die Krankheit nicht zu weit wegziehen.

Es gibt gute und schlechte Phasen

Das tückische an Depressionen ist: Die Krankheit ist nicht heilbar. Betroffene erleben immer wieder depressive Phasen.

So ist es auch bei Gehlen gewesen. Zeitweise ist es ihm sehr gut gegangen. Er hat das Autohaus übernommen. Sein Sohn ist zur Welt gekommen.

Doch zwischendurch kamen auch schlechte Phasen: „Ich habe auch mal eine Nacht auf der geschützten Station verbracht.“ Eine schöne Erfahrung sei das nicht, aber in seinem damaligen Fall notwendig gewesen.

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Lange Wartezeiten für Therapeuten

Eine Erfahrung, die Gehlen mit vielen anderen Betroffenen teilt: Wenn es nicht um eine Akutversorgung geht, stehen kaum Therapieplätze zur Verfügung.

2013 habe er zahlreiche Therapeuten angefragt, doch die meisten hätten sehr lange Wartezeiten gehabt. Er habe schließlich einen Brief an eine Therapeutin geschrieben und seinen Fall geschildert. Daraufhin habe sie ihn doch irgendwie dazwischengenommen. 

Auch auf Plätze in psychotherapeutischen Kliniken warten Betroffene mitunter mehrere Monate. Aber, das betont Gehlen: „Akuthilfe ist immer gegeben.“ Wenn man etwa Suizid-Gedanken hege, erhalte man schnell Hilfe.

Umfeld ist auf Anzeichen sensibilisiert

Wie sich solch eine depressive Phase ankündigt? „Ich bin dann einfach nur platt. Und das ist für mich untypisch, ich stehe eigentlich voll im Saft.“ Er schlafe nicht mehr gut, sei dauerhaft gereizt und gestresst.

Sein Umfeld ist auf diese Anzeichen sensibilisiert. Anfang des Jahres sei er so stark erkältet gewesen, dass er das Bett habe hüten müssen. Als seine Mutter gesehen habe, dass die Vorhänge im Schlafzimmer zugezogen waren, habe sie sich direkt Sorgen gemacht.

Gehlen wurde zu einem Job-Wechsel geraten

Gehlens bislang letzte depressive Phase datiert vom Jahreswechsel 2018/2019. „Ich habe frische Erfahrungen für die Gruppe gesammelt“, sagt er heute darüber und lacht.

Damals ist er für zwei Wochen in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Zülpich gewesen. Dort sei ihm oft empfohlen worden, den Job zu wechseln. „Das finde ich vollkommen falsch. Eine Arbeit gibt einem auch viel“, sagt Gehlen. Sie biete zum Beispiel Struktur im Alltag. Und das sei bei Depressionen wichtig. Außerdem mache er seinen Job gerne. 

Nach dem Klinikaufenthalt ist Gehlen bei einem Reiki-Lehrer und Heiler gewesen. Das, so sagt er, habe ihm geholfen – obwohl er eigentlich nicht so für „Hokuspokus“ zu haben sei, wie er es formuliert. Zusätzlich nimmt er seit seiner ersten Phase Antidepressiva.

Es gibt keine Standard-Lösung

Bei Depression gebe es keine Standard-Lösung, keine Pille, die alles wieder gut mache, erklärt Gehlen. Er ist der Ansicht: Was hilft, hilft – egal, ob es „Hokuspokus“ oder Schulmedizin ist.

Auch darum soll es in der Selbsthilfegruppe gehen. Viele Betroffene wissen, was ihnen in depressiven Phasen helfe. Rausgehen zum Beispiel, oder Sport machen. Das Problem sei oft die Umsetzung. „Du hast deine eigene Steuerung nicht mehr in der Hand“, zieht Gehlen einen Vergleich zu Videospielen.

„Sich Hilfe zu suchen, sei keine Schwäche“

Dem Harperscheider ist eines im Umgang mit der Krankheit besonders wichtig: „Man braucht sich nicht abzuschreiben.“ Sich Hilfe zu suchen, sei keine Schwäche.

Er selbst habe zeitweise gedacht: „Jetzt hängst du den Rest deines Lebens in so einer Gaga-Anstalt fest.“ Aber das stimme nicht. In der Selbsthilfegruppe will er anderen Betroffenen Mut machen. Er will zeigen, dass man lernen kann, mit Depressionen zu leben.

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