Wir haben nachgefragtWie es den Menschen nach der Flut an Ahr, Urft und Erft geht

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Robert Zimmermann zeigt an seinem Haus in Arloff, wie hoch das Wasser während der Flut 2021 stand. Dort ist auch eine Plakette angebracht worden, die das historische Hochwasser dokumentiert.

Robert Zimmermann war in Arloff von der Flut betroffen. Eineinhalb Jahre nach dem Hochwasser sind die Schäden immer noch nicht vollends beseitigt.

Im Sommer 2021 haben viele Menschen in der Flut alles verloren. Wie es in den Flutgebieten weitergeht, erzählen sie hier.

Nach der Flut 2021: Ein Jahr im Kuhstall

„Der Ort hat sich verändert“, sagt Robert Zimmermann. Mit seiner Frau Marlene hatte er drei Jahre vor der Flut sein Elternhaus in Bad Münstereifel-Arloff renoviert. Dann kam das Wasser, floss am 14. Juli 2021 etwa 2,20 Meter durch die Holzgasse.

Eine Plakette an der Fassade erinnert an die Hochwasserkatastrophe. Im Innenhof des ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebs sind noch schlammfarbene Wasserlinien zu entdecken. Auch dort stand das Wasser der Erft vor eineinhalb Jahren etwa zwei Meter hoch. Auch dank der Aufbauhilfen haben die Zimmermanns schon viel geschafft.

Auf einem Ofen gekocht, auf das jedes Museum stolz wäre

Ziemlich genau ein Jahr lebte das Ehepaar im ehemaligen Kuhstall, während das Haus wieder aufgebaut wurde. Gekocht wurde auf einem Ofen, auf das jedes Museum Stolz wäre. Doch es ging weiter – irgendwie, improvisiert. Ziemlich genau nach einem Jahr war das alte Fachwerkhaus wieder bewohnbar.

Damit haben die Zimmermanns mehr geschafft als andere Arloffer. Gut 15 Häuser sind im Doppelort Arloff-Kirspenich nach wie vor nicht bewohnt. Eine Nachbarin wird nicht zurückkommen. „Es sind aber nicht nur solche Veränderungen. Der Zusammenhalt ist größer geworden. Das war auch ein Wandel, den die Flut mit sich gebracht hat“, sagt Robert Zimmermann. Die Arbeiten im Haus sind größtenteils abgeschlossen. Lediglich die Fassade muss noch gemacht werden. Wahrscheinlich werde die Sanierung nicht so viel Geld verschlingen wie vermutet.

Der Zusammenhalt ist größer geworden. Das war auch ein Wandel, den die Flut mit sich gebracht hat
Robert Zimmermann, Flutbetroffener aus Arloff

Im Wohnzimmer lodert nun das Feuer in einem Kamin. Die Gasheizung ist zwar neu, aber man versuche zu sparen, erklärt der Arloffer mit einem Augenzwinkern. Zumal, so Zimmermann, der Borkenkäfer im eigenen, kleinen Wald in den vergangenen Jahren großen Schaden angerichtet habe. „Das Holz muss ja jetzt genutzt werden“, sagt er. Seine Frau Marlene hätte unmittelbar nach der Flut den Ort am liebsten verlassen. Aus Liebe habe sie ihre Meinung geändert, zumal man nun versichert sei. So ganz überzeugt ist die Seniorin aber dennoch nicht. „Noch mal tue ich mir das, glaube ich, nicht an“, sagt sie.


Birgit Junctorius wartet in Kall auf ihren Einzug im Neubau

Beim Neubau von Birgit Junctorius und ihrer Familie in Kall geht es voran: „Das Dach ist drauf, die Fenster sind drin, Sanitär ist vorbereitet“, zählt die Kallerin auf: „Jetzt warten wir auf den Elektriker.“ Noch ist die Familie in einem Ausweichquartier untergebracht – bis Mai 2023 läuft der Mietvertrag.

Ob das ausreicht, bis zur Fertigstellung des Neubaus? „Wahrscheinlich nicht ganz“, sagt Junctorius. Handwerker, die nicht kommen oder Material, das nicht lieferbar ist, könnten den angepeilten Fertigstellungstermin noch etwas verzögern. „Wir hoffen aber, dass im Juni oder Juli alles fertig ist und wir einziehen können.“

Birgit Junctorius steht vor dem Neubau ihres Wohnhauses in der Straße "Am Hammerwerk" in Kall. Es ist deutlich zu sehen: Dort hinter dem Bauzaun ist noch Baustelle.

Birgit Junctorius vor dem Neubau ihres Wohnhauses in der Straße 'Am Hammerwerk' in Kall. Sie hofft, dass sie im Sommer 2023 dort mit ihrer Familie einziehen kann.

Bei der Planung des Neubaus spielte das Thema Hochwasserschutz eine entscheidende Rolle: „Auf einen Keller haben wir verzichtet und es gibt nur noch zwei bodentiefe Türen, damit wir da die Möglichkeit haben, Schotts reinzusetzen. Ob das letztendlich hilft, wissen wir aber auch nicht.“

Der Kontakt zur Nachbarschaft in der Straße „Am Hammerwerk“ ist nicht abgerissen, sagt Junctorius: „Wir sind ja jetzt fast jeden Tag auf der Baustelle.“ Das wäre sicher anders, wenn die Familie für die Zeit des Wiederaufbaus weiter weg hätte ziehen müssen, überlegt die Mitarbeiterin des Schleidener Caritasverbands.

Einerseits freut man sich auf das, was kommt. Andererseits holen einen die Bilder immer wieder ein, wenn man daran denkt, was man mitgemacht hat
Birgit Junctorius, Flutbetroffene aus Kall

An die Geschehnisse der Flutnacht denke sie noch fast jeden Tag. „Man ist hin- und hergerissen: Einerseits freut man sich auf das, was kommt. Andererseits holen einen die Bilder immer wieder ein, wenn man daran denkt, was man mitgemacht hat.“ Dazu kommen dann auch noch die Sorgen: „Kann man das alles schaffen und kommen wir mit dem Geld hin?“ Das sei belastend für die Familie.

Besonders emotional habe sie daher auch den Jahrestag der Flutkatastrophe am 14. Juli empfunden. „Aber wir hatten Ablenkung, weil meine Eltern an diesem Tag ihre Goldene Hochzeit gefeiert haben.“

Sie übt aber auch Kritik. Vor Ort werde zu wenig für die Flutbetroffenen getan: „Ich habe an einem Workshop teilgenommen, wo die Betroffenen ihre Erlebnisse schildern konnten. Ob da noch mehr kommt, weiß ich nicht.“


Lukas Sermann, Winzer an der Ahr

Wir sind sehr zufrieden mit dem vergangenen Jahr und hatten viele schöne Momente, auch wenn es immer noch Verbesserungsbedarf gibt. Wir haben die Kelterhalle eröffnet, das heißt der Kellerei-Bereich ist wieder in einem Zustand wie vor der Flut.

Vor zehn Wochen sind wir mit der Vinothek und unserem Restaurant Thüres hier ins Stammhaus eingezogen. Wir wollen nicht nur beim Wein, sondern auch in der Gastronomie zurück zu den Ursprüngen. Eine moderne Küche mit hochwertigen, regionalen und saisonalen Gerichten. Da muss man schon mal improvisieren: Am vergangenen, eiskalten Wochenende sollte es eigentlich Forelle geben, aber die Teiche waren dick zugefroren. Es gab dann eben „Wald und Wiese“, eine Vesperplatte mit selbst geräuchertem Mufflonschinken von unserem Jäger keine fünf Kilometer von hier.

Den Gästen hat es trotzdem geschmeckt, die feiern unser nachhaltiges Konzept. Jetzt freuen wir uns auf den Jahresendspurt mit Weihnachtsmenüs und einer großen Silvestersause.

Der Winzer Lukas Sermann steht in seinem Restaurant Thüres, dass er vor Kurzem in seinem Weingut in Altenahr eröffnet hat.

Will auch in der Gastronomie zurück zu den Ursprüngen: Der Winzer Lukas Sermann.

Die Gastronomie ist zurück im Ahrtal, und im Oktober, als das Wetter so toll war, kamen sehr viele Gäste, allerdings fast nur Tagesausflügler oder Wochenendtouristen. Die Urlauber, die länger bleiben, fehlen noch. Viele Menschen freuen sich, wieder hierher zu kommen, aber es fließen auch immer noch Tränen angesichts der unzähligen Ruinen. Da muss dringend etwas passieren, denn so schön die Landschaft ist, diese deprimierenden Bilder könnten uns langfristig das Genick brechen. Leider hat man nicht den Eindruck, dass Politik oder lokale Institutionen so etwas wie einen Plan haben, wie sie damit umgehen wollen.

Was immer noch fehlt, sind Straßenlaternen

Die Infrastruktur hat sich insofern verbessert, als der Tunnel Richtung Mayschoss und Ahrweiler wieder offen ist. Die Bahn hat versprochen, dass Ende 2025 wieder Züge fahren werden bis Ahrbrück, im Moment gibt es Schienenersatzverkehr ab Walporzheim. Die Radwege könnten bis kommenden Sommer zumindest provisorisch wieder befahrbar sein. Wandern kann man ohnehin nahezu uneingeschränkt. Was immer noch fehlt, sind Straßenlaternen.

Für 2023 haben wir viel vor. Wir wollen die Öffnungszeiten im Thüres ausweiten, wenn wir ausreichend Personal finden und haben schon einige Events angeleiert. Außerdem werden wir die Außenflächen inklusive einer Terrasse an der Ahr schön gestalten. Der Weinjahrgang 2022 war sehr anstrengend, die Lese hat sich wegen des Wetters gezogen. Unser Anspruch ist ziemlich hoch, aber gerade mit den Rotweinen sind wir sehr zufrieden. Mal sehen, wie er sich im Fass entwickelt. Da stehen im Januar die ersten Füllungen an.

Die Ernte ist auch dank der freiwilligen Helfer sehr gut gelaufen. Viele sind Freunde geworden. Und wir haben immer neue Ideen. Mal gucken, was sich davon umsetzen lassen wird.

Lukas Sermann, Winzer an der Ahr


Nach der Flut 2021: Das Ärztehaus am Lepperhammer in Engelskirchen

Nach dem Hochwasser hatte sich die Leppe in Engelskirchen bald wieder in ein beschauliches oberbergisches Flüsschen verwandelt. Doch die Spuren der Zerstörung verschwanden nicht so schnell. Ein Ärztehaus mit drei Praxen in einem mehr als 100 Jahre alten Industriebau, das vor nicht allzu langer Zeit von Grund auf saniert worden war, hatte der Gewalt der Wassermassen nicht standhalten können und war zum Teil eingestürzt.

Dass auch der Anbau abbruchreif war, stellte sich ein paar Tage später heraus. Nicht einmal anderthalb Jahre später und siebeneinhalb Monate nach dem ersten Spatenstich steht jetzt an gleicher Stelle, etwas erhöht, ein neues Gebäude mit drei Arztpraxen. Mitte Januar soll Eröffnung sein, kündigt Investor und Architekt Ralf Rother an.

Das Hausärztliche Zentrum Angelus von Arzt Thomas Aßmann war im alten Gebäude vertreten und zieht gerade ins Erdgeschoss des Neubaus ein, hat künftig aber fast doppelt so viel Platz wie früher. Die Gastroenterologische Gemeinschaftspraxis von Olaf Mensler und Jens Hunkemöller richtet sich auch wieder ein. In die dritte Praxis wird im Sommer eine Kinderärztin einziehen.

Lepperhammer
Architekt Tim Rother hat in acht Monaten ein neues Ärztehaus gebaut.Zusammen mit Ralf Rother und Pascal Seeberger sieht er sich einen Plan an.

Architekt und Investor Ralf Rother (r) sowie die Architekten Tim Rother (l.) und Pascal Seeberger haben an der Leppe ein neues Ärztehaus gebaut. Das Gebäude sieht man hinten links.

„Innerhalb von acht Monaten Bauzeit haben wir hier ein neues Ärztehaus mit einer Fläche von zirka 1000 Quadratmetern gebaut“, sagt Ralf Rother. „Das war mehr als sportlich, hat aber funktioniert.“ Trotz Lieferverzugs bei Eisen und der Dämmung. „Das haben wir mit den Handwerkern hier vor Ort, die wir seit Jahrzehnten kennen, aufgeholt.“

Die Ereignisse der Flutnacht hat Rother noch gut vor Augen. Mit Thomas Aßmann und desen Frau war er selbst noch im Haus gewesen, zehn Minuten, bevor es einstürzte. „Das war ein absolut einschneidendes Erlebnis für alle Beteiligten“, erinnert sich Rother. „In dem Moment war mir auch nicht klar, ob ich nach 36-jähriger Tätigkeit pleite bin oder nicht.“ Zum Glück war er elementarversichert: „Ich kann aber nur jedem raten, sich alle Einzelheiten seines Versicherungsvertrages genau durchzulesen."


Thomas und Frank Steffen, Metzger aus Gemünd

Wir wollten von Anfang an ein Signal der Hoffnung setzen. Sofort nach der Flut haben wir den Entschluss gefasst: Egal wie, aber wir machen im August wieder auf. Wir haben damals sehr viel Zuspruch erfahren. Und das zieht sich bis heute durch. Die Kunden sind einfach nur froh, dass es in Gemünd weiter einen Metzger gibt. Unsere zwölf Mitarbeiter und die Handwerker haben alles gegeben, sonst wäre uns der Neustart nicht gelungen. Weil zwei andere Betriebe im Großraum aufgegeben haben, ist der Bedarf noch größer geworden.

Metzger in Schleiden stehen vor einem Metzgereischild.

Die beiden Metzger in Schleiden sind vor allem stolz auf ihr Team.

Die Flut ist bei uns im Laden täglich Thema. Die Kunden, die ja zum Teil von weither kommen, sind fassungslos darüber, dass sich hier im Ort bei einigen Häusern und Geschäften noch gar nichts getan hat. Da wird mir dann auch wieder bewusst, dass doch noch viel im Argen liegt.

„Wir brauchen halt einen langen Atem“

Grundsätzlich ist die Gemeinde aber auf dem richtigen Weg. Man muss die Stadt Schleiden wirklich loben. Man hat einfach alles neu gedacht, einige Gebäude aufgekauft, um etwas zu ändern. Die Touristikinformation wird in ein Haus ziehen, das früher ein Bekleidungsgeschäft war. In der Nähe wird ein Kindergarten modernisiert. Manchen geht das zu langsam, aber wir brauchen halt auch einen langen Atem.

In der Fußgängerzone fehlt noch ein Café, ein Restaurant und ein Laden für den täglichen Bedarf.Mit allen Mitarbeitenden haben wir kürzlich zum ersten Mal nach der Flut wieder zusammengesessen. Bei der Weihnachtsfeier. Nach 17 Monaten. Da ist uns nochmal klar geworden, was in der kurzen Zeit alles passiert ist. Besonders erfreut sind wir darüber, dass wir alle komplett zusammengeblieben sind. Wir sind wirklich stolz auf unsere Mitarbeiter.

Sorgen um die Zukunft machen wir uns nicht. Es gibt gar keine schlechten Metzger mehr. Die wenigen Betriebe, die es noch gibt, liefern alle gute Qualität ab. Die Kundschaft, die darauf noch Wert legt, nimmt zum Teil lange Anfahrten in Kauf, um zu uns zu kommen. Mit der Regionalität sind wir auf dem richtigen Weg.

Langsam kehren auch die Gäste wieder nach Gemünd zurück. Der Nationalpark Eifel wird wieder gut besucht. Davon profitieren wir alle.

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