ProzessAnwälte der Leverkusener Sozialbetrüger wollten Honorar vom Staat

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Razzia bei der Großfamilie am 14. März 2018: Ein Polizeiwagen steht auf der Hauptstraße in Wiesdorf.

Wer wohnt eigentlich bei wem? Auch das fanden Polizisten bei der Razzia Mitte März 2018 bei der Großfamilie heraus.

Im Verfahren gegen das Paar aus der Großfamilie tauchen neue Akten aus dem Jobcenter auf. Die vierfache Mutter wird psychiatrisch untersucht.

Muss man aus seiner Betrugsbeute seine Anwälte bezahlen? Oder gibt es Prozesskosten-Hilfe vom Staat, weil man ja offiziell seit vielen Jahren auf Sozialhilfe angewiesen ist? Die Anwälte des sechsköpfigen Zweiges der Leverkusener Großfamilie meinen offenbar, dass der Staat für ihre Honorare geradestehen sollte. Und nicht ihre beiden Mandanten.

Sabine Grobecker, die Vorsitzende Richterin der 16. Großen Strafkammer, sieht das völlig anders, machte sie am Freitag klar. Immerhin stehen zehntausende Euro Bargeld, außerdem Schmuck zur Verfügung. Werte, die bei der großen Razzia im März 2018 bei der Familie gefunden wurden.

Seitdem ist auch klar, dass die 49 Jahre alte Frau und ihr vier Jahre jüngerer Mann ein Paar sind, also eine Bedarfsgemeinschaft bilden, wie das beim Jobcenter heißt. Lange waren beide nur nach Roma-Recht verheiratet – für deutsche Behörden zählt das nicht. Das machte es dann auch einfacher, an Sozialhilfe zu kommen. Im Fall des Paares und ihrer vier Kinder waren das allein zwischen 2014 und 2019 knapp 170.000 Euro.

Nachlieferung aus dem Leverkusener Jobcenter

Als die Kammer am Freitag in den Saal 23 des Kölner Landgerichts einzieht, hat Sabine Grobecker drei weitere Akten unter dem Arm: Es sind weitere Sonderhefte, die dem Gericht vor einer Woche zugegangen sind. Alarmiert durch einen Bericht im „Leverkusener Anzeiger“ hatte sich Sozialdezernent Alexander Lünenbach zum Jobcenter, der Arbeitsgemeinschaft Leverkusen (AGL) aufgemacht: Am Mittwoch hatte Richterin Grobecker sich beklagt, dass sie sich seit Oktober vergeblich um weitere Akten aus Leverkusen bemüht. Die Strafkammer habe sich im Zuständigkeitsdschungel der Hartz-IV-Behörde verfangen.

Aus deren Sicht war das ein großes Missverständnis. Trotzdem gingen weitere Akten dem Gericht zu. Es sind die, die in auffälligen grünen Ordnern auf dem Tisch der Richterin liegen und nun in den Prozess eingeführt werden können. Das ist wichtig, denn die Verteidigungsstrategie der Anwälte fußt zum Teil darauf, dass Nachweise des Jobcenters fehlen.   

Verurteilter Betrüger hatten vollen Zugriff auf die Sozialhilfe

Ansonsten sind die Angeklagten weiter kooperativ, nachdem das Gericht dies zur Bedingung für einen Deal gemacht hatte. Am Freitag berichtete der Familienvater, der selbst sozusagen nur aushilfsweise Unterstützung bei der AGL beantragt hatte – in der Regel war das der Job seiner Frau –, dass er natürlich Zugang zu dem Konto hatte, auf dem die Stütze einging: „Die Vollmacht hab’ ich bis heute.“  

Die Beute aus diversen Betrügereien, für die der Mann in Hamburg und in der Schweiz verurteilt wurde, vertraute man lieber nicht der Bank an. Dieses Geld wurde in Sofa versteckt oder hinten im Kleiderschrank in der Wohnung in der Nobelstraße. Dort habe er sich bedient, wenn mal Anschaffungen gemacht werden mussten, die nicht aus der Sozialhilfe bestritten werden konnten, berichtete der Familienvater: „mal ein paar Klamotten für die Kinder“. Oder wenn die Familie größer essen gehen wollte. 

Ein Mercedes AMG bereichert den Fuhrpark der Großfamilie

Eine richtig große Anschaffung kam am Freitag auch zur Sprache: Ein Mercedes AMG, gebraucht. Rund 29.000 Euro habe er für den aufgemotzten Schlitten bezahlt, der einigermaßen gut in den von Porsches und anderen Luxuskarossen durchsetzten Fuhrpark der Leverkusener Großfamilie passte, erinnerte sich der Angeklagte. Zuvor habe er ein anderes Auto verkauft. Sonst wäre ja ein Großteil der Beutezüge aus der Schweiz und aus Hamburg dafür draufgegangen.

So klar der Sozialbetrug nach dem bisherigen Prozessverlauf auf dem Tisch liegt – eine Unsicherheit muss noch ausgeräumt werden: Seit 2007 ist die Ehefrau in psychiatrischer Behandlung, wenn auch eher sporadisch, wie Atteste zeigen. Eine Psychotherapie habe die Frau immer abgelehnt. Trotzdem steht für Sabine Grobecker fest: „Wir müssen Sie begutachten lassen“, wandte sie sich an die Angeklagte.

Das soll jetzt schnell passieren: Am Dienstag, 7. Mai, geht der Prozess weiter, und er biegt auf die Zielgerade. Der Ablauf soll nicht weiter verzögert werden. Schließlich liegt der erste angeklagte Sozialbetrug inzwischen beinahe ein Jahrzehnt zurück. 

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