Vorfall in KönigsdorfPolizeihund beißt Schlafende ins Gesicht

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Symbolbild

Frechen-Königsdorf – 

Ein albtraumhaftes Szenario: Man schreckt mit Höllenschmerzen aus dem Tiefschlaf auf, aus der Dunkelheit hört man eine fremde Stimme sagen: „Hier ist die Polizei. Uns wurde ein Einbruch gemeldet. Ein Hund hat Sie gebissen“ – und dann schwinden die Sinne.

Genau dies geschah in der Nacht vom 13. auf den 14. November 2015 an der Aachener Straße in Frechen-Königsdorf. Ludmilla und Manfred Seng leben dort gemeinsam mit ihrer 16-jährigen Tochter in einem Einfamilienhaus.

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Ludmilla Seng wurde von einem Polizeihund aus dem Schlaf gerissen und gebissen. Auch ihr Mann Manfred Seng ist geschockt.

Am Abend des 13. November, ein Freitag, sitzt die Familie beisammen und schaut gemeinsam Fernsehen. Gegen 21.30 Uhr favorisieren Mutter und Tochter ein anderes TV-Programm als Manfred Seng. Sie ziehen sich ins Obergeschoss zurück, weil es im Schlafzimmer dort einen weiteren Fernseher gibt. Derweil streckt sich der 63 Jahre alte Familienvater auf der Couch im Wohnzimmer aus, verfolgt eine Fernsehsendung und schläft dann offenbar ein.

Die beiden Frauen schalten die MDR-Talkshow „Riverboat“ ein und amüsieren sich über einen Auftritt des Schlagersängers Jürgen Drews. Auch sie haben es sich gemütlich gemacht – im großen Ehebett der Sengs. Die 61-jährige Ludmilla Seng schläft rasch ein, die 16-jährige Tochter schaltet das Fernsehgerät nach eigenen Angaben um 23.15 Uhr aus und schlummert ebenfalls ein. Eine halbe Stunde später die Idylle jäh zerstört. Ludmilla Seng wacht „mit stechenden Schmerzen“ am Ohr auf. Im Raum ist es dunkel. Ahnungslos, was geschehen ist, wälzt sie sich vor Schmerz auf dem Kopfkissen. Dann verliert sie das Bewusstsein. Als sie wieder zu sich kommt, blickt sie in den Lichtkegel einer Taschenlampe. „Hier ist die Polizei. Uns wurde ein Einbruch gemeldet. Ein Hund hat Sie gebissen“. Sie muss ihre Hände zeigen. Ohne nachzudenken, tut sie das. Sie solle sich aufsetzen, fordert man sie auf. Sie versteht immer noch nicht, was eigentlich passiert ist. Da ist nur dieser unerträgliche Schmerz. Und Blut. Überall Blut.

„Multiple Bisswunden links temporal“

Sie weckt ihre Tochter, die neben ihr liegt und fragt nach ihrem Mann. „Welcher Mann“, fragt der Polizist. „Mein Ehemann. Er muss unten auf der Couch sein“, sagt sie schlaftrunken. Mühsam richtet sie sich auf, Blut tropft auf den Boden. Inzwischen hat die Polizei den Lichtschalter gefunden und schaltet die Lampe an. Aika, ein Schäferhund der Polizei, soll sie gebissen haben, der Rettungswagen sei verständigt und bringe sie ins Krankenhaus, sagt der Polizeibeamte.

Vorsichtig steht die Verletzte auf und geht die steile Treppe hinab ins Erdgeschoss. Sie will in die Küche gehen, doch die Tür ist verschlossen. „Wie immer. Aus der Küche führt eine Tür nach draußen. Zum zusätzlichen Schutz vor Einbrechern schließen wir auch die Küchentür abends immer ab“, erläutert Manfred Seng.

Ludmilla Seng geht ins Badezimmer. Ungläubig betrachtet sie ihr Spiegelbild. Blut. Überall Blut. Weißes Gewebe tritt aus einer großen Wunde an der Kehle heraus. Erst jetzt sieht sie das Ausmaß der Bissverletzungen. Der plastische Chirurg der Universitätsklinik Köln beschreibt die Blessuren später wie folgt: „Zehn Zentimeter große klaffende Bisswunde am ventralen Hals, zwei Zentimeter große Bisswunde am rechten Augenlid, drei Zentimeter große Bisswunde über dem rechten Jochbogen, Bisswunde am rechten Unterkiefer, Bisswunde am linken Ohr, multiple Bisswunden links temporal.“ „Ich hätte tot sein können“, weiß Ludmilla Seng heute.

Auslöser für den Einsatz

Noch als sie auf der Behandlungspritsche liegt, Ärzte die Wunden auf der einen Seite säubern und auf der anderen Seite nähen, kommt ein Polizist und möchte ihre Alkoholwerte bestimmen. „Das müssen Sie nicht gestatten“, warnt sie ein Mediziner. Sie stimmt dennoch zu, pustet in das Testgerät, das einen Wert von 0,56 Promille festgestellt haben soll.

Sieben Tage liegt sie in der Uni-Klinik. Als sie nach Hause entlassen wird, muss sie Antibiotika nehmen. „Davon bekam ich dann Magenblutungen und wurde für drei weitere Tage ins Frechener St.-Katharinen-Hospital eingewiesen.“

Was diesen Polizeieinsatz ausgelöst hat, erfährt die Familie erst nach und nach. Zwei Zeugen, die sich an diesem späten Freitagabend auf der Aachener Straße in Königsdorf befinden, wollen ein akustisches Alarmsignal aus dem Haus der Familie Seng gehört haben. Die Haustür steht aus ungeklärten Gründen zu diesem Zeitpunkt einen Spalt offen, eine gewöhnliche Kette verhindert, dass sich die Tür weiter öffnen kann.

Die Zeugen sollen die Polizei informiert haben, die mit sechs Beamten, zwei Hundeführern und eben Diensthündin Aika anrückt. Die Polizei klingelt, ruft, tritt gegen die Tür und sprengt die kleine Absperrkette mit einem Stock. Zwei Polizeibeamte und der Vierbeiner Aika betreten das Haus. Dreimal wollen die Polizisten rufend auf sich aufmerksam gemacht und auch den Einsatz des Hundes angekündigt haben. Der Hund soll unangeleint durch das Erdgeschoss gestromert sein.

Manfred Seng, der schlafend auf der Couch im Erdgeschoss liegt, wird bei der Durchsuchung der Räume übersehen. Zügig gehen Hund und Hundebegleiter ins Obergeschoss, schauen in drei Zimmer und stoßen in einem Zimmer auf eine weitere Tür, die ins Schlafzimmer führt. Es ist dunkel. Noch ehe ein Lichtschalter gefunden und die Schlafsituation der Familie erkannt wird, hechtet Aika unangeleint auf das Bett zu und fügt Ludmilla Seng martialische Gesichtsverletzungen zu. Aus Sicht des Hundes soll es „einen Bewegungsanreiz gegeben haben, den die Diensthündin mit einem Biss in das bewegte Körperteil beantwortet“ habe, heißt es später in einer Polizeinotiz.

Manfred Seng geht am nächsten Tag zur Polizei und möchte eine Anzeige gegen die Polizei erstatten. Sein Anliegen wird nach eigenen Angaben heruntergespielt, er solle doch erst einmal mit dem Hundeführer sprechen, so die Empfehlung. Seng ist sprach- und hilflos und schaltet Rechtsanwalt Abdou Gabbar ein. Der wiederum bemüht sich wiederholt um Akten- und Protokolleinsicht, Zeugenaussagen und zuständige Gesprächspartner bei der Polizei. Zielführende Informationen bekommt er nicht.

Vertrauen auf interne Ermittlungen

Am 18. Dezember unterrichtet man ihn schließlich darüber, dass gegen die beiden Hundeführer Anzeige wegen „Körperverletzung im Amt“ erstattet worden sei. „Es kann immer etwas schief gehen. Aber aus Geschädigten Veranlasser zu machen, die selbst am Geschehen schuld sind, weil sie etwas Alkohol getrunken haben oder ihre Räume nachts abdunkeln, ist skandalös“, sagt Gabbar. Familie Seng habe bisher weder Strafanzeige erstattet noch zivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht. Vielmehr vertraue sie zunächst auf die internen Ermittlungen der Polizei und auf ein entsprechendes Ergebnis. Dass die Behörde allerdings in den vergangenen drei Monaten nicht einmal nachgefragt habe, wie es Ludmilla Seng nach dieser blutigen Beißattacke des Polizeihundes gehe, enttäuscht das Ehepaar.

Danach befragt, wie es ihr heute geht, füllen sich die grünen Augen der 61-jährigen Königsdorferin mit Tränen. Die äußeren Narben verheilen recht gut. „Ich danke Gott und dem plastischen Chirurgen, der in dieser Nacht Dienst hatte, dass ich das überstanden habe.“ Die Verletzung am linken Ohr schmerze nach wie vor, den Mund könne sie nicht ganz öffnen („in ein Brötchen kann ich nicht reinbeißen“), und die Haut an der Kehle sei empfindlich. „Aber die Psyche ist verletzt. Es macht mich fertig, dass mein Kind solche Angst hat“, sagt sie und weint leise. Ihr Bett hat sie inzwischen in ein anderes Zimmer geräumt („ich betrete den Raum, in dem es passiert ist, nicht mehr“) . Und um fremde große Hunde macht sie einen Bogen.

Die Polizei bedauert, dass bei dem Einsatz ein Mensch verletzt wurde, möchte sich gegenwärtig aber nicht konkreter zu den Ereignissen der Nacht äußern, da die Staatsanwaltschaft gegen zwei Beamte ermittle und es sich somit um ein schwebendes Verfahren handele.

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