Cum-Ex-SkandalKölner Chefermittlerin Brorhilker kämpft jetzt zivil

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Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker (r) sitzt vor dem Landgericht auf dem Platz des Anklägers. Vor dem Bonner Landgericht hat der erste Strafprozess zu den hochumstrittenen "Cum-Ex"-Steuerdeals begonnen. Den beiden angeklagten Ex-Aktienhändlern wird besonders schwere Steuerhinterziehung vorgeworfen: Sie sollen zwischen 2006 und 2011 einen Steuerschaden von mehr als 440 Millionen Euro verursacht haben. +++ dpa-Bildfunk +++

Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker wird künftig nicht mehr als Chefermittlerin im Cum-Ex-Skandal tätig sein. (Archivbild)

Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Das sagt Deutschlands erfolgreichste Ermittlerin gegen Finanzkriminelle. Nun quittiert sie den Staatsdienst und kämpft zivil.

Es kommt nicht alle Tage vor, dass eine gut bezahlte Oberstaatsanwältin ihren Staatsdienst quittiert. In dem Fall verzichtet man auch auf üppige Ansprüche, etwa auf die Altersversorgung eines Beamten. Anne Brorhilker ist dennoch gerade dabei, das zu tun. In ihrem jahrelangen Kampf gegen Steuerkriminalität hat sich die 50-jährige Kölner Oberstaatsanwältin den Ruf der mächtigsten Ermittlerin Deutschlands erworben.

Sobald ihr Beamtenverhältnis erloschen ist, fängt sie bei der heimischen Nichtregierungsorganisation Finanzwende an, die Finanzkriminalität zivilgesellschaftlich bekämpft. Der Schritt hat seinen Preis, im unmittelbaren Sinn. „Das ist ein finanzieller Einschnitt für Anne Brorhilker“, betont Finanzwende-Gründer Gerhard Schick.

„Ich wäre fast vom Stuhl gekippt“

An der Seite des Ex-Bundestagsabgeordneten der Grünen wird die streitbare Frau bald als eine von dann vier Geschäftsführern für mehr Gerechtigkeit in Deutschland ringen. „Ich habe großen Respekt vor ihrem Schritt, Anne Brorhilker macht ihr Wissen nicht zu Geld“, bekennt Schick. Sie hätte auch die Seiten wechseln und für ein Spitzensalär bei einer Anwaltskanzlei oder Beratungsfirma anheuern können, meint er damit. Aber mit Schick und der Kölner Ermittlerin haben sich nun zwei im Geiste Verwandte gefunden.

Im April 2023 habe Finanzwende die Stelle einer Fachkraft in Sachen Finanzkriminalität ausgeschrieben, erzählt Schick. Dann kam Brorhilkers Bewerbung. „Ich wäre fast vom Stuhl gekippt“, schildert der Ex-Grüne seine erste Reaktion. Seine neue Kollegin ist nicht irgendwer. Seit 2013 deckt sie speziell kriminelle Cum-Ex-Steuersparmodelle auf, wovon rund 120 Verfahren gegenüber 1.700 Beschuldigten zeugen. Bei dieser Variante der Wirtschaftskriminalität geht es darum, dass sich Vermögende Steuern auf Dividenden vom Fiskus rückerstatten lassen, die sie niemals gezahlt haben. Steuerschlupflöcher, die erst 2012 geschlossen wurden, haben das erleichtert.

Fast 30 Milliarden Euro Schaden

Experten schätzen, dass der deutsche Fiskus zwischen 2000 und 2020 um 28,5 Milliarden Euro erleichtert wurde. Das macht Cum-Ex zum größten Steuerskandal der Republik. Für Brorhilker ist er „eine Ungeheuerlichkeit in jeder Hinsicht“, sagte sie gerade dem WDR in einem TV-Interview. Das betreffe die finanziellen Milliardendimensionen, die handelnden Personen von Vermögenden bis zu Bankern und Steuerberatern sowie die Schwierigkeiten bei der Aufdeckung.

Vor allem Letzteres hat Schick im Blick, wenn er seinen Schlachtplan zusammen mit der neuen Mitstreiterin vorstellt. „Wir haben drei Ziele“, sagt er. Erstens müssten die Strukturen der Justiz verbessert werden. So fehle dem neuen Bundesamt für Finanzkriminalität unter Zuständigkeit von FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner bislang bundesweite Steuerungskompetenz. Die brauche es aber, was eine Cum-Ex-Lehre sei. Organisierte Finanzkriminalität müsse wie Terrorismus zentral bekämpft werden.

Schick und Brorhilker kritisieren generell mangelnde Personalausstattung der Justiz. Eigentlich müssten Cum-Ex-Fälle und ihre Nachfolgermodelle sogar auf der Ebene der europäischen Staatsanwaltschaft bekämpft werden, weil überall stets gleiche Banken und Personen verwickelt seien, argumentiert Brorhilker. Deutschland benötige zudem verschärfte Vermögensabschöpfung von Finanzkriminellen nach italienischem Vorbild, fordert Schick.

Finanzlobby beeinflusst durch Gutachten

Zweitens brauche es ein Gegengewicht zur bestehenden Finanzlobby, die in Deutschland von allen Branchen die mächtigste sei. „Das Andocken ist systematisch“, sagt Brorhilker allein schon mit Blick auf das Lobbyregister des Bundestags. Dazu kämen angeblich wissenschaftliche Gutachten zu Finanzfragen, die von „Mietschreibern“ verfasst und von dieser Lobby bezahlt würden, ergänzt Schick. Wer weiß, welchen Stellenwert solche Gutachten oft für richterliche Urteile haben, weiß von ihrem bestimmenden Einfluss.

Drittens will Finanzwende mit Brorhilkers Hilfe für gerechtere Urteile sorgen. „Das ist ein dickes Brett“, räumt Schick ein. Durch die heute gängige Praxis sieht die Staatsanwältin mit Leib und Seele, wie Brorhilker sich selbst bezeichnet, ihr Rechtsempfinden verletzt. „Täter mit viel Geld und guten Kontakten treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz“, ist ihre Erfahrung. Beschuldigte könnten sich aus Verfahren herauskaufen und Vergleiche erzielen, bei denen der Staat im besten Fall die Hälfte kriminell hinterzogener Steuern zurückerhält. Das sei absurd.

Als Steuerhinterzieher in großem Stil kommt man in Deutschland besser weg als ein Sozialhilfebetrüger.
Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker

„Als Steuerhinterzieher in großem Stil kommt man in Deutschland besser weg als ein Sozialhilfebetrüger“, urteilt die 50-Jährige und ist sich darin mit Schick einig. Falls überhaupt ermittelt wird. In Köln hinterlässt die scheidende Oberstaatsanwältin zwar nun funktionierende Justizstrukturen. „Die großen Schwachpunkte und ein Totalausfall bei Cum-Ex-Ermittlungen sind Hamburg und Stuttgart“, prangert Schick an. Ob das wegen Korruption, Faulheit oder politisch gewollt sei, wisse er nicht. Aber in Hamburg sei dort trotz mehrerer in Cum-Ex-Fälle verwickelter Banken noch kein Verantwortlicher vor Gericht gekommen. Auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittle seit elf Jahren ohne Anklage, wobei dort die Landesbank LBBW im Fokus stehe.

Auch der Name Olaf Scholz fällt

„Da funktioniert etwas nicht“, findet nicht nur Schick. Die Kölner Staatsanwaltschaft allein könne nicht den ganzen Cum-Ex-Skandal Deutschlands juristisch aufarbeiten. Es sei auffällig, dass vor allem Landesbanken dabei bislang geschont würden, was auch mit Weisungsmöglichkeiten von Länderministerien zu tun haben könne, mutmaßt Schick.

Im Hamburger Fall haben die Vorwürfe des Ex-Parlamentariers eine bundespolitische Note, die bis hinauf zu Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) reicht. Denn in der Hansestadt ist die dortige Warburg Bank in den Cum-Ex-Skandal verstrickt. Dortige Finanzbehörden haben aber auf Steuerrückforderungen verzichtet. Geschehen ist das in einer Zeit, als Scholz noch Erster Bürgermeister Hamburgs war. Als er zu seiner damaligen Rolle befragt wurde, machte der SPD-Politiker Erinnerungslücken geltend.

„Die sind unglaubhaft“, findet Schick und plädiert für einen Untersuchungsausschuss, der bislang von der Berliner Ampelkoalition verhindert wird. Zurücktreten müsse schon jetzt der amtierende Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), fordert Schick. „Bekämpfung von Finanzkriminalität ist eine Frage des politischen Willens“, betont er und kann ihn aktuell selten erkennen.

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