Die Liebe bleibt der Motor

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Er dichtet seit Jahren für den Weltfrieden: Ernesto Cardenal aus Nicaragua.

Er dichtet seit Jahren für den Weltfrieden: Ernesto Cardenal aus Nicaragua.

Bergheim - Manche Menschen scheinen unglaublich viel Energie zu haben. Sie erleben so viel, dass es eigentlich für mehrere Biografien reichen könnte. Ernesto Cardenal aus Nicaragua ist so ein Mensch: Studium der Literatur in Managua, Mexico und New York, Beteiligung an der April-Revolution 1954 in Nicaragua, Eintritt ins Kloster, Studium der Theologie, Priesterweihe, Gründung einer eigenen christlichen Gemeinschaft, Kulturminister der sandinistischen Regierung, Gründung des internationalen Entwicklungsprojekts „Casa de los tres mundos“ mit dem Schauspieler Dietmar Schönherr, Nominierung für den Literaturnobelpreis im Jahr 2005.

Jetzt ist Cardenal 82 Jahre alt. Natürlich macht er weiter. Cardenal befindet sich auf einer Lesereise und ist dabei dank der Kontakte der Bergheimer zum seine Reise organisierenden Club of Budapest im Medio gelandet. 300 Leute sind da und lassen den kleinen, weißhaarigen Mann nicht aus den Augen. Cardenal ist ein bedeutender Dichter. Da muss man einfach ganz genau hingucken. Er sitzt auf der Bühne, ein Barett auf dem Kopf, Bart, Brille, optisch ganz Intellektueller.

Neben ihm sein deutscher Übersetzer Hermann Schulz, langjähriger Leiter des Peter-Hammer-Verlags, weil Dietmar Schönherr, der ihn eigentlich begleiten sollte, erkrankt ist. In seiner Heimatsprache Spanisch liest Cardenal Meditationen und Gedichte. Die Sätze schnarren, wirken monoton. Sein Blick klebt am Papier. Nur sein rechter Arm ist in Bewegung, malt Girlanden in die Luft. Schulz übersetzt. Etwa die Liebesgedichte aus seiner Jugend. Weil Claudia ihn verschmäht habe, schreibe er das Gedicht nun für den Rest der Welt. Wenigstens die solle seinen Genius erkennen. In den Liebesgedichten macht Cardenal keine großen Worte, formt diese allerdings im Satz immer wieder spielerisch um und zeichnet so kunstvolle Gebilde voller Humor.

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Cardenal arbeitet ohne Schnörkel. Da schlängeln sich keine komplizierten Satzgefüge am Herz vorbei Richtung Hirn.

Die Stunde der Einsamkeit

Der Zuhörer erahnt, dass Cardenals Motor die Liebe ist. Und seine scheint universell zu sein. Er liebt die Frauen. Und erkennt dabei die Liebe zu Gott. Im Kloster liebt er Gott. Und vergisst dabei nicht die Sinnlichkeit. Um zwei Uhr morgens beten die Mönche ihre Psalmen. Das sei die Stunde der Einsamkeit in den Hotels, der absurden Gespräche nächtlicher Saufgelage, die Stunde, in der in den Bordellen die Lichter angingen.

Und dann geht es um Nicaragua, die Revolution und den Diktator Anastasio Somoza Garcia. Cardenal wird von einem Militärgericht verhört und verarbeitet die Eindrücke dichtend. Die Liebe bleibt trotzdem. Sie wird kosmisch und führt das menschliche Debakel ad absurdum. Cardenal erfährt von dem Tod eines jugendlichen Guerilleros. Und dichtet. Cardenal beobachtet, wie sich nach der Revolution sogar die Natur von der zerstörerischen Gewaltherrschaft erholt. Auch aus dieser Erkenntnis wird Poesie.

Der Autor wird im Medio von der international besetzten Musikgruppe „Grupo Sal“ begleitet. Die Combo greift lateinamerikanische Weisen auf und würzt sie mit Jazzelementen. Da wird im Stück „El Loco“, das allen Verrückten gewidmet ist, die an ihren Träumen festhalten, etwa ein überbordendes Saxophon-Solo beklatscht. Die erdige Musik vermischt sich mit den Vorträgen des Dichters. Die Zuschauer wittern inspiriert diesen Hauch lateinamerikanischer Gefühlswelten. Am Ende spielen die Musiker einen Merenge. Ein paar Menschen stehen auf, tanzen. Der Dichter sieht das. Und lächelt.

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