AsylpatenWas ist aus den Wiehler Geflüchteten von 2015 geworden?

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Drei Personen blicken auf einen Laptop.

Von 116 Personen aus 53 Familien haben Monika Wallbaum-Stöber, Konrad Gerards und Susanne Michel (v.l.) ein Update bekommen.

Drei Aktivisten der Wiehler Flüchtlingshilfe wollten es einmal genau wissen: Wie ist die weitere Integration der Schützlinge von 2015 und 2016 eigentlich verlaufen?  

Da gibt es den Syrer, aus dem ein Handelsfachwirt geworden ist, mit doppelter Auszeichnung von der IHK. Und seinen Landsmann, der es zum stellvertretenden Filialleiter einer Drogeriekettenfiliale gebracht hat. Die albanische Produktionshelferin und den afghanischen Minijobber. Viele der Menschen, die es im Zuge der Flüchtlingswelle der Jahre 2015 und 2016 nach Wiehl verschlagen hat, leisten längst einen ansehnlichen Beitrag zum Bruttosozialprodukt.

In der Liste auf Monika Wallbaum-Stöbers Computer finden sich allerdings auch Analphabeten und von Krieg und Flucht traumatisierte Menschen, die sich schwertun mit einem Leben auf den eigenen Füßen. Und natürlich gebe es unter den rund 500 Geflüchteten dieser Jahre auch den einen oder anderen, der es sich im sozialen Netz bequem macht, sagt die Wiehlerin. Wallbaum-Stöber und ihr Mitstreiter Susanne Michel und Konrad Gerards machen sich nichts vor. Anders als viele blauäugige Willkommenskulturfreunde einerseits und finstere Remigrationsfantasten andererseits wissen die drei, wovon sie reden, denn sie haben sich damals an vorderster Front in der Wiehler Flüchtlingshilfe engagiert.

Wiehler Flüchtlingspaten verschickten Fragebogen

Neben der direkten Betreuung der Geflüchteten leiteten Wallbaum-Stöber und Susanne Michel den Arbeitskreis der Flüchtlingspaten und haben schon 2017  mit einer ersten Fragebogenaktion den Erfolg ihrer Bemühungen überprüft. Angesichts der aktuell wieder sehr emotionalen Migrationsdebatte wollten sich die beiden nun auf den neuesten Stand bringen und haben an die damaligen Patinnen und Paten erneut Fragebögen geschickt. Sie wollten von ihnen wissen, was aus den Schützlingen von damals geworden ist.

Ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass einer meiner Jungs jetzt als Rettungssanitäter arbeitet.
Susanne Michel über einen ihrer früheren Schützlinge

Das Ergebnis ist nicht repräsentativ, gibt aber einen Hinweis.   Die Paten berichteten von 116 Personen aus 53 Familien. 34 von diesen sind in Vollzeit beschäftigt, 37 absolvieren eine Ausbildung, und 36 Kinder gehen zur Schule. Elf Geflüchtete besitzen inzwischen sogar die deutsche Staatsbürgerschaft. Susanne Michel sagt nüchtern: „Das diese Menschen am Anfang Geld kosten, ist klar. Aber es kommt langsam zurück.“ Auch Monika Wallbaum-Stöber möchte betonen: „Die meisten zahlen heute Steuern.“

Wallbaum-Stöber findet, man dürfe in dieser Frage nicht der AfD das Feld überlassen, und schon gar nicht den Leuten, die in Potsdam über die Deportation von Migranten debattieren. Susanne Michel merkt an: „Ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass einer meiner Jungs jetzt als Rettungssanitäter arbeitet.“

Junge Männer hatten in Alferzhagen Orientierungsschwierigkeiten

Solche Erfolge waren damals bei vielen Neuankömmlingen nicht unbedingt absehbar. Susanne Michel erinnert sich an 19 junge Männer aus Syrien und dem Irak, um die sie sich in Alferzhagen kümmerte. „Die sprachen kein Deutsch und hatten keine Ahnung davon, wie das Leben bei uns funktioniert. Etwa, dass man Verabredungen einhält und wie man mit Geld umgeht“, sagt Michel. Sie lacht: „Und wie in Deutschland die Mülltrennung funktioniert.“

In den Hochzeiten engagierten sich mehr als 150 Menschen in der Wiehler Flüchtlingshilfe, heute sind es nur noch etwas mehr als zwei Dutzend, berichtet Konrad Gerards. Auch Susanne Michel und Monika Wallbaum-Stöber haben sich längst zurückgezogen. Familie und Beruf stellten neue Herausforderungen, die oft nur mangelhafte Unterstützung durch die Behörden sorgte für zunehmenden Frust. Vor allem waren die beiden aber einfach erschöpft nach Jahren, in denen sie rund um die Uhr sich um die Geflüchteten kümmerten und mit Polizei und Jugendamt verhandelten. So etwas ließ sich auf Dauer nicht durchhalten. Ein loser Kontakt zu ihren damaligen Schützlingen ist geblieben. Wenn sie im Ruhestand ist, möchte Monika Wallbaum-Stöber wieder Deutschkurse leiten.

Konrad Gerards, bis 2019 hauptamtlicher Integrationsbeauftragter der Stadt Wiehl, kümmert sich inzwischen ehrenamtlich um die Flüchtlingshilfe. Vieles sei heute besser organisiert als damals, sagt Gerards, der für die Grünen im Gummersbacher Stadtrat sitzt. Statt der selbstgemachten Merkblätter gebe es neuerdings die mehrsprachige App „Integreat“ des Kommunalen Integrationszentrums des Oberbergischen Kreises. Die Versorgung mit Wohnraum und Deutschkursen funktioniere   insgesamt ganz gut.   Mit Blick auf die Pläne der Stadt Wiehl für Brächen warnt Gerards allerdings davor, Menschen „zusammengepfercht weit weg von allem“ unterzubringen. „Und es kommt auf die ethnische Mischung an.“

Vor allem aber müssten sich die Rathäuser um die „kulturelle Integration“ kümmern, sagt Gerards. „Der entscheidende weitere Schritt, der die Menschen beispielsweise in die Vereine führt, fällt oft aus.“ Dafür brauche es   Freiwillige. Gerards ist überzeugt: „Ohne ein gutes Hauptamt gibt es kein funktionierendes Ehrenamt.“ Es müsse wieder   gelingen, die Hilfsbereitschaft zu kanalisieren. So wie damals: „Das hat Spaß gemacht.“ Susanne Michel nickt: „Wir waren eine tolle Gemeinschaft.“


Studie über Integration im Arbeitsmarkt

Laut einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für das Jahr 2021 waren 54 Prozent der 2015 nach Deutschland Geflüchteten erwerbstätig, zehn Prozent mehr als im Pandemiejahr 2020. 33 Prozent der erwachsenen Geflüchteten haben sechs Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland Schulen und Hochschulen besucht oder haben Ausbildungen und Weiterbildungsmaßnahmen absolviert. 70 Prozent üben eine qualifizierte Tätigkeit aus, für die ein Berufs- oder Studienabschluss notwendig ist. 65 Prozent der erwerbstätigen Geflüchteten, die seit sechs Jahren in Deutschland sind, arbeiten in Vollzeit, während es im Durchschnitt aller Erwerbstätigen in Deutschland 62 Prozent sind.

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