Interview

Mainz-Vorstand Heidel
„Wir hätten Bo Henriksen nicht so spektakulär erwartet“

Lesezeit 11 Minuten
Der Mainzer Sportvorstand Christian Heidel (r.) klatscht mit FSV-Trainer Bo Henriksen ab.

Der Mainzer Sportvorstand Christian Heidel (r.) klatscht mit FSV-Trainer Bo Henriksen ab.

Der Mainzer Sportvorstand spricht über den Keller-Kracher gegen den FC, Trainer Bo Henriksen, die Lage der Kölner und Jürgen Klopp.

Es ist das ultimative Endspiel um den Klassenerhalt: Am Sonntag (17.30 Uhr) tritt der Bundesliga-Vorletzte 1. FC Köln am viertletzten Spieltag beim FSV Mainz 05 (15.) an und ist bei fünf Punkten Rückstand auf Bochum (16.) und die Rheinhessen praktisch zum Siegen gezwungen. Nach dem 21. Spieltag hatte der FC noch vier Punkte Vorsprung auf Mainz. Doch danach holte der Kontrahent neun Punkte mehr als die Kölner und hat mittlerweile auch das deutlich bessere Torverhältnis. Mit einem Sieg im direkten Duell könnte sich der FSV wohl zumindest vom direkten Abstieg sicher verabschieden. Großen Anteil an dem Aufschwung hat sicherlich der neue Trainer Bo Henriksen (49), der am 13. Februar übernahm und vor allem in den vergangenen fünf Spielen eine starke Bilanz vorzuweisen hat (drei Siege, zwei Unentschieden).

Der erfahrene Mainzer Sportvorstand Christian Heidel (60) spricht im Interview mit dieser Zeitung über das Duell am Sonntag, wie und warum die Wahl auf den emotionalen Dänen Henriksen, wie er die Situation in Köln einschätzt und was sein Freund Jürgen Klopp nach dem Abschied vom FC Liverpool plant.

Herr Heidel, nach dem 1:1 Ihres Klubs in Freiburg gab sich SC-Trainer Christian Streich sicher, dass Mainz 05 den Klassenerhalt schaffen wird.

Christian Heidel: Es ist sehr nett, was Christian Streich da gesagt hat, aber es hilft uns jetzt nicht viel. (lacht). Das hört sich an, als wäre unser Auftrag quasi schon erledigt. Davon sind wir aber leider noch sehr weit entfernt. Wir können unsere Situation sehr realistisch einschätzen und lassen uns von unserer kleinen Serie, die dringend notwendig war, überhaupt nicht beeinflussen. Wir wissen, dass wir auch am Sonntag ein ganz schwieriges und wichtiges Spiel gegen den 1. FC Köln vor der Brust haben.

Hat Ihre Mannschaft mittlerweile sogar wieder etwas zu verlieren?

Ich bin jetzt im 29. Jahr bei Mainz 05 in der Verantwortung und habe gefühlt 15 Abstiegskämpfe miterlebt. Es gibt für solche Situationen keinen wirklichen Leitfaden. Man weiß nicht immer im Voraus, wie sich alles entwickelt. Unsere Mannschaft hat das zurückbekommen, was ihr am meisten gefehlt hat: Selbstvertrauen. Sie hat wieder die Überzeugung, dass sie Spiele gewinnen kann. Und das war vorher nicht mehr der Fall. Und wir haben erstmals nahezu die komplette Mannschaft zur Verfügung. Ich habe eine Verletzungsserie wie in dieser Saison noch nie erlebt. Es war klar, dass es mit unserem recht schmalen Kader mal personell eng werden kann, wenn mehrere Spieler gleichzeitig ausfallen. Das ist in dieser Saison leider passiert. Doch jetzt sind fast alle Spieler zurück, ein Jonathan Burkardt ist beispielsweise wieder gesund, fit und trifft regelmäßig. Und die Jungs spielen unter einem neuen Trainer mit neuem Schwung.

Das erste Gespräch mit ihm hatte ich noch per Videokonferenz, da dachte ich schon, dass er aus meinem Bildschirm springt, so voller Energie war er
Christian Heidel über Trainer Henriksen

Im Winter haben Sie sich unter anderem noch mit Nadiem Amiri und Jessic Ngankam verstärkt. War das alternativlos?

Ja – vor allem wegen der Verletzungsmisere. Ansonsten wäre das Risiko eines Abstiegs noch größer geworden. Wir in Mainz kennen derartigen Situationen, 2021 war es ähnlich. Es gab für uns keinen Grund, schon aufzugeben. Wir waren zuversichtlich, dass wir die Wende herbeiführen können. Und der neue Trainer war dabei vielleicht der entscheidende Mosaikstein. Wir haben einen Trainer gesucht, der den Jungs den Glauben ans Gewinnen zurückbringt. Und Bo hat hier vom ersten Tag an alle angezündet. Man darf ihn aber nicht nur darauf reduzieren, dass er der große Motivator ist, er hat auch fachlich eine Menge drauf und ist zudem ein Teamplayer. Seine Art kommt überragend an. Das hat dazu geführt, dass wir wieder eine Chance haben. Im Januar hatte uns das fast keiner mehr zugetraut.

Folglich hatten Sie Bo Henriksen schon länger auf dem Schirm?

Ja, wir hatten uns mit Bo schon länger beschäftigt. Die Verpflichtung an sich hatte am Fastnachtsamstag angefangen und war einen Tag später schon geklärt. Ich hatte mir bestimmt 20 Pressekonferenzen und viele Interviews von Bo angeschaut und mit etlichen Weggefährten von ihm telefoniert. Wir wussten also, was das für ein Typ ist. Wir hatten ihn aber vielleicht nicht ganz so spektakulär erwartet (lacht). Das erste Gespräch mit ihm hatte ich noch per Videokonferenz, da dachte ich schon, dass er aus meinem Bildschirm springt, so voller Energie war er (lacht). Das ist ansteckend. Und so ist er dann auch in der Kabine aufgetreten. Die Jungs lassen sich vom Trainer mitreißen, da er authentisch, überzeugend ist und bereits über fast alles bei uns im Bilde war. Ich hatte sofort das Gefühl, dass das mit ihm und Mainz 05 gut passen könnte.

Henriksen wurde angeblich auch um die Jahreswende in Köln als Nachfolger von Steffen Baumgart gehandelt. Hatten Sie Befürchtungen, dass ein anderer Klub Ihnen den Trainer wegschnappen könnte?

Das Risiko besteht immer, wir waren sicher nicht der einzige Interessent. Glücklicherweise hat er sich dann schnell für uns entschieden. Ich habe ihn dann auch nicht mehr gefragt: Warum bist du nicht beim 1. FC Köln oder bei Union Berlin gelandet? Das hat mich dann nicht interessiert.

Scouten Sie also Trainer selbst?

Ich beschäftige mich viel mit Trainern. Das ist ein bisschen mein Hobby und aus der Historie bei Mainz 05 heraus entstanden. Ich denke, ich habe da ein ganz gutes Auge oder das Gefühl, wer zu diesem Klub passen könnte. Bo war zu dem Zeitpunkt die beste Wahl für uns.

War Kölns Trainer Timo Schultz auch auf Ihrer Liste?

Das soll jetzt überhaupt nicht abwertend klingen: Aber er war kein Thema bei uns. Timo Schultz ist ein sehr guter Trainer, das hat er insbesondere bei St.Pauli bewiesen. Aber wir haben im Winter ein anderes Profil gesucht.

Was denken Sie über Henriksen, wenn er eine Stunde vor Spielbeginn die Mainzer Arena geht und die Fans einpeitscht?

Das hat inzwischen schon eine Art Kultstatus in Mainz. Das ist aber keine Show von Bo, und ebenso hat ihm keiner aufgetragen, das zu machen. Das hat sich so entwickelt nach seinem ersten Heimspiel. In dem ist er 75 Minuten vor Anpfiff von vielleicht 8000 oder 9000 Fans, die schon im Stadion waren, freundlich begrüßt worden. Bo wollte sich eigentlich nur bei den Anhängern bedanken, und dann wurde es plötzlich von den Rängen laut. Und Bo hat diese Reaktion der Fans mit Gesten noch befeuert. Das war nicht geplant oder aufgesetzt. Bo ist einfach ein nahbarer Typ, der in diesem Moment genau das fühlt. Und heute wartet das ganze Stadion fast darauf. Bo will den Leuten klar machen: „Heute geben wir zusammen alles.“ Ich bin mir 100-prozentig sicher, dass er am Sonntag vor dem Spiel gegen den FC wieder in die Kurve marschiert. Bisher hat es uns auf jeden Fall nicht geschadet.

Henriksen hat damit im Moment Erfolg. Sehen Sie die Gefahr, dass sich das auch mal abnutzen könnte? Wie nachhaltig ist seine Arbeitsweise?

Dass sich solch eine Arbeitsweise abnutzt, haben manche Kritiker früher auch bei Jürgen Klopp nach drei Monaten Trainertätigkeit bei Mainz 05 gesagt. Ich sehe bei Bo diese Gefahr nicht, denn er ist sehr viel mehr als nur ein Motivator. Das allein reicht heute nicht mehr für Erfolg. Er hat uns in einer fast schon ausweglosen Lage geholfen. Ob es auch ein Happy End in puncto Klassenerhalt wird, weiß ich noch nicht, aber ich hoffe es und sehe dafür auch gute Chancen.

Diesem Happy End könnten Sie am Sonntag ein großes Stück näherkommen. Was erwarten Sie für ein Spiel gegen den FC?

Einen großen Kampf, den wir sofort annehmen müssen. Die Nerven werden eine Rolle spielen. Wir haben uns die jüngsten Auswärtsspiele des FC angeschaut. Von sechs haben sie da nur eines verloren – 0:2 bei Bayern. Wir haben in München mit acht Gegentoren ordentlich einen auf die Mütze bekommen. Sonntag gibt es Abstiegskampf pur.

Der Name des Klubs ist groß, aber Köln spielt keine 15 oder 20 Jahre Bundesliga am Stück
Heidel über den 1. FC Köln

Der FC war 2022 Siebter, 2023 dann Elfter. Kommt der Absturz für Sie überraschend?

Wir hatten zwischenzeitlich noch größere sportliche Probleme als der FC, deshalb habe ich mich kaum damit beschäftigt. Fakt ist, dass Mannschaften wie Mainz oder Köln immer mal unten reinrutschen können. Manchmal bedarf es noch nicht einmal viel, um in den Abstiegsstrudel zu geraten. Und das passiert natürlich eher nicht so gefestigten Mannschaften – und dazu zählt auch der FC. Der Name des Klubs ist groß, aber Köln spielt keine 15 oder 20 Jahre Bundesliga am Stück. Beim FC kam vieles zusammen mit dem Trainerwechsel oder der Transfersperre. Dann wird das große Umfeld schnell mal nervös. Ich habe mit diesem Saisonverlauf der Kölner nicht gerechnet, wohl aber damit, dass eine gefestigte Mannschaft wie Aufsteiger Heidenheim nichts mit dem Abstieg zu tun haben wird. Aber zwei oder drei müssen ja runter.

Der FC hat fast 140.000 Mitglieder, Mainz 05 rund 20.000. Die Stadt Köln ist fünfmal so groß wie Mainz. Dennoch hat Mainz von den vergangenen zehn Spielzeiten acht besser als der FC abgeschnitten. Warum?

Wir stellen uns nicht über den 1. FC Köln und geben keine Rezepte aus. Bei großen Traditionsklubs laufen die Dinge oft anders, das habe ich bei Schalke selbst erlebt. Diese Vereine ticken auch komplett anders. Ihre Größe ist in schwierigen Situationen nicht immer hilfreich, vieles wird öffentlich ausgetragen. Für uns in Mainz gilt: Wir müssen weniger Fehler machen als die größeren Klubs. Wir können uns mit dem FC nicht vergleichen, die Zahlen sprechen ja für sich. Aber mittlerweile wird auch in Mainz gute Arbeit geleistet, ansonsten würden wir nicht seit 15 Jahren ununterbrochen der Bundesliga angehören. Ich liebe die Spiele in Köln, weil die Atmosphäre dort einzigartig ist. Ich kann aber in unserer Situation schlecht sagen, dass ich mich freuen würde, sollte der FC die Liga halten. Da bitte ich um Ihr Verständnis (lacht). Ansonsten habe ich sehr viele Sympathien für den FC.

Ich glaube, dass seine weitere Lebensplanung davon abhängig ist, ob er seine Pause genießen kann
Heidel über seinen Freund Jürgen Klopp

Sie sind mit Jürgen Klopp befreundet. Seine Ära beim FC Liverpool endet nach der Saison. Danach will er eine Auszeit einlegen. Der Mann hat so viel Energie, das kann man sich kaum vorstellen.

Kloppo wird mit der Auszeit ganz sicher gut klarkommen. Seit 2001, als er Trainer in Mainz wurde, hatte er nur einmal eine Pause von ein paar Monaten nach seiner Zeit bei Borussia Dortmund. Er ist ein besonderer Typ, der sich voll und ganz einer Aufgabe verschreibt, sich in sie reinkniet. Und deshalb kann ich es sehr gut verstehen, dass er ein bisschen Abstand will und braucht und ihm diese Pause guttun wird. Ich kann zwar nicht für Kloppo reden, kenne ihn aber sehr gut: Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nach nur zwei, drei Monaten Pause wieder an der Seitenlinie steht — auch wenn das viele voraussagen. Ich weiß noch nicht, was er im Anschluss macht. Und wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen auch nicht sagen (lacht). Wir haben mal über eine größere Reise von mir gesprochen, da ich einen runden Geburtstag hatte und mit der Familie etwas länger rumgetourt bin. Da entgegnete er: „Die Städte kenne ich auch alle – aber leider nur deren Stadien und Flughäfen.“ Das sagt viel aus. Ich glaube, dass seine weitere Lebensplanung davon abhängig ist, ob er seine Pause genießen kann. Möchte er anschließend im Fußball noch mal einen Trainerjob übernehmen, oder macht er sogar ganz etwas anderes? Ich kann mir bei ihm vieles vorstellen.

Und was macht Ihre zweite Trainer-Entdeckung, Thomas Tuchel, nach dem Ende seines Engagements beim FC Bayern?

Auch Thomas ist ein überragender Trainer. Aber manchmal passt es halt nicht so. Das hat sich in München jetzt so ergeben. Überall, wo er bisher war, hatte Thomas Erfolg. Und mal abwarten: Sollte er mit Bayern die Champions League gewinnen, dann würde seine Arbeit in München sicherlich anders bewertet. Thomas wird Bayern verlassen, klar, aber er wird keine Probleme haben, schnell einen neuen Top-Klub zu bekommen. Er kann sich diesen sicher sogar aussuchen. Ich weiß noch: Nach seinem Rücktritt in Mainz hatte Thomas eine Auszeit eingelegt und er war ja damals praktisch der Erfinder des Sabbaticals, der seitdem in aller Munde ist (lacht). Aber dazu wird es sicherlich nicht kommen, wir werden ihn bestimmt rasch wieder auf der Trainerbank sehen.

ZUR PERSON

Christian Heidel, geboren am 2. Juni 1963 in Mainz, gehörte bereits von 1992 bis 2016 dem Vorstand des FSV Mainz 05 an. Der gelernte Bankkaufmann ist einer der Eckpfeiler des Aufstiegs des Vereins, er beförderte 2001 Jürgen Klopp und 2009 Thomas Tuchel zum Cheftrainer. Von 2016 bis 2019 war Heidel Sportvorstand bei Schalke 04. 2018 wurde der Klub sogar Vizemeister, doch danach folgten Misserfolge. Ende Dezember 2020 kehrte Heidel als Vorstand Sport, Strategie und Kommunikation zu Mainz 05 zurück.

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