Investition im Rheinischen RevierWie Microsoft 100.000 Menschen in der Region zu KI-Profis machen will

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18.03.2024, Nordrhein-Westfalen, Elsdorf: Marianne Janik (l), Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, und Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen (CDU), stehen vor einer Pressekonferenz zum Thema «Von der Kohle zur KI» am Rand des Tagebau Hambach vor einem Fahrzeug, mit dem für KI-Fortbildung geworben wird. Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der Braunkohlebagger ist zur Fotokulisse verkommen. Davor posieren Marianne Janik, Microsoft-Chefin in Deutschland, und Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von NRW für Fotos.

3,2 Milliarden Euro fließen in die Region, Hunderte Arbeitsplätze entstehen. Microsoft hat die Pläne am Tagebau Hambach erläutert.

Der Kohlebagger im Tagebau Hambach rührt sich nicht vom Fleck und ahnt wohl schon, jetzt ist die Zeit gekommen, da er nur noch als Fotokulisse taugt. An der Tagebaukante bei Terra Nova in Elsdorf dreht ihm die Prominenz aus Politik und Wirtschaft am Montag den Rücken zu. Sie feiert den Tag, an dem sich das Rheinische Revier und Nordrhein-Westfalen auf den Weg „von der Kohle zur KI“ machen und hochoffiziell den neuen Nachbarn Microsoft auf das Herzlichste willkommen heißen.

Der bringt 3,2 Milliarden Euro an Investitionsvolumen mit, um damit in Bergheim und Bedburg und an einem dritten Standort, der noch nicht endgültig feststeht, drei Hyperscaler-Rechenzentren zu errichten, die der Transformation den richtigen Schub verleihen sollen.

Das größte Einzelinvestment in 40 Jahren Microsoft in Deutschland

Und was macht ein guter Nachbar? Er stellt sich vor. „Wer wie ich gerade das erste Mal in den Tagebau Hambach hineingeschaut hat, spürt etwas von der Größe der Aufgabe des Wandels, den die Menschen hier vor sich haben“, sagt Marianne Janik, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland. „Es entsteht etwas Neues, auch wenn die Geschichte die Gegenwart noch prägt. Das macht mich etwas demütig, aber auch ein bisschen stolz. Wir dürfen teilhaben an dem, was hier entsteht, und die Zukunft mitgestalten.“

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18.03.2024, Nordrhein-Westfalen, Elsdorf: Marianne Janik, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, steht vor einer gemeinsamen Pressekonferenz mit NRWMinisterpräsident Wüst zum Thema "Von der Kohle zur KI" vor dem Veranstaltungsort "Forum Terra Nova". Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Marianne Janik, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland

Teilhaben. Das klingt sehr bescheiden angesichts des größten Einzelinvestments, das Microsoft tätigen wird, seit der US-Konzern in Deutschland aktiv ist. Und das ist immerhin 40 Jahre her. Die drei Rechenzentren bedeuteten „Verfügbarkeit von Cloud-Infrastruktur aber auch Kapazität und Künstliche Intelligenz“, sagt Janik. Das Rheinische Revier werde zum „Hotspot für den Strukturwandel“.

Die Microsoft-Chefin lobt ausdrücklich die gute Zusammenarbeit in den zweieinhalb Jahren, seit man zum ersten Mal mit dem Ansinnen auf die Bürgermeister von Bedburg, Bergheim und Elsdorf, den Landrat des Rhein-Erft-Kreises und die Landesregierung zugegangen sei.

Microsoft plant mit mehreren Hundert neuen Arbeitsplätzen

Die Erwartungen an die Region sind groß – vor allem an die Menschen, die diesen Wandel vollziehen müssen. An der Tagebaukante parkt das KI-Mobil als Symbol für die Qualifizierungsoffensive, mit der der US-Konzern „die Menschen schon vor dem Spatenstich fit für die Zukunft in der KI machen. Niemand wird einer Technologie vertrauen, wenn die Beurteilungsfähigkeit fehlt“, sagt Janik.

Konkret will Microsoft will ein Paket mit „umfangreichen Lernangeboten“ mit verschiedenen Partnern schnüren. Das KI-Mobil sei als „Treffpunkt für mobiles Lernen“ eines der Instrumente, den Menschen die Künstliche Intelligenz näherzubringen. „Es fährt zu Schulen und den Ausbildungszentren.“ Die erste virtuelle Jobbörse für das Rheinische Revier ist für den 16. April geplant und soll rund 10.000 Menschen in NRW erreichen.

Insgesamt will Microsoft 100.000 Interessierte in Nordrhein-Westfalen bis Ende 2025 mit Bildungsangeboten zur KI in Verbindung bringen. Vom Berufskolleg bis zu einer Datacenter Academy, für Menschen, die beruflich tiefer einsteigen wollen. In den beiden Rechenzentren im Rheinischen Revier werden mehrere Hundert Arbeitsplätze entstehen.

Wir in Nordrhein-Westfalen wissen, von nix kommt nix. Es geht nur durch Arbeit voran
Hendrik Wüst, NRW-Ministerpräsident

Es ist ja nicht so, als hätten das Rheinische Revier und NRW nichts zu bieten. Dafür, dass die Region geostrategisch ideal an der Kreuzung zweier bedeutender überregionaler Datentrassen von Stockholm nach Paris und Amsterdam nach Frankfurt liegt, kann Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) nichts. Das ist Zufall, hat aber bei der Ansiedlung sicher eine entscheidende Rolle gespielt. Eine Region, in der in einem Radius von 250 Kilometern in und um das Revier 60 Millionen Nutzer bereits jetzt nach verstärkt nach Dateninfrastrukturen gieren, ist nicht zu verachten.

18.03.2024, Nordrhein-Westfalen, Elsdorf: Marianne Janik, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland (l), und Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen (CDU), beobachten vor einer Pressekonferenz zum Thema "Von der Kohle zur KI" auf einem Bildschirm die Arbeit einer KI-Applikation. Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

NRW-Regierungschef Hendrik Wüst will NRW „zur Heimat von KI bei der industriellen Anwendung“ machen.

Deshalb wirft der Ministerpräsident vor allem das Kapital in die Waagschale, mit dem er punkten kann. „Diese Region ist nicht nur durch das Landschaftsbild und die Industrie geprägt worden. Sondern vor allem durch Arbeit“, sagt Wüst. „Wir in Nordrhein-Westfalen wissen, von nix kommt nix. Es geht nur durch Arbeit voran.“ Das Revier sei offen für Neues. Der Abschied von der Braunkohle, die das Leben der Menschen über Jahrzehnte geprägt haben, sei „natürlich auch mit ein bisschen Wehmut“ verbunden. „Man lässt etwas los, das einem Stärke und Halt gegeben hat.“ Er sei sicher, dass NRW „zur Heimat von KI bei der industriellen Anwendung wird“, so Wüst.

Die Stimmung in Bedburg hat sich gedreht

Die bisweilen geäußerte Kritik an der Landesregierung, der Strukturwandel komme nicht schnell genug voran, der auch aus den Kommunen des Rheinischen Reviers gekommen ist, sei nachvollziehbar. „Wir wissen, dass wir nicht den maximal schnellen Weg eingeschlagen haben“, so Wüst. Das Land habe das beim Strukturwandel früherer Jahre wie im Ruhrgebiet „aus Düsseldorf oft vom grünen Tisch gemacht. Man hat Leuchttürme irgendwo reingesetzt, mit denen man aber nichts anfangen konnte. Wir haben uns entschieden, mit der Region gemeinsam an diesem Thema zu arbeiten.“ Das zahle sich jetzt aus. Deshalb gelte der Dank den Kommunen, „die sehr viel Arbeit in ihre eigene Zukunft stecken und wissen, was für ihre Region passt und richtig ist.“

Was das konkret heißt, macht Bedburgs Sascha Solbach deutlich. Seit klar ist, dass Microsoft ins Rheinische Revier kommt, habe sich die Stimmung in der Bürgerschaft komplett gedreht. „Diese direkte Ansiedlung stattet uns mit ungeheuer viel Selbstbewusstsein aus“, sagt Solbach. Noch vor einem Jahr habe er bei Bürgerversammlungen vor allem in fragende Gesichter geblickt und habe dort vor allem viel Skepsis und Resignation gesehen. Die Nachricht, dass Microsoft ins Rheinische Revier komme, sei der Moment, „wo das Vertrauen zurückkehrt. Heute gehen wir mit viel Applaus aus einer Bürgerversammlung wieder an unsere Arbeit.“

Verhandlungen mit Kölsch und halvem Hahn

Das kann Bergheims Bürgermeister Volker Mießeler bestätigen. Microsoft entwickele bereits jetzt eine Strahlkraft. „Weitere zukünftige Nachbarn klopfen schon an unsere Türe.“ Die Verhandlungen mit dem US-Konzern seien immer in einer angenehmen Atmosphäre und „sehr harmonisch manchmal mit einem Kölsch und einem halven Hahn“ abgelaufen.

Die Standortsuche für das dritte Rechenzentrum ist nach Angaben des Konzerns noch nicht abgeschlossen. Klar ist offenbar nur, dass es im Rhein-Kreis Neuss liegen wird. „Wir brauchen diesen dritten Standort für ein funktionierendes Redundanzsystem“, sagt Alexander Britz von Microsoft. „Er wird kommen. Wir sind bei der Arbeit.“ Man sei sich bewusst, dass die Rechenzentren einen hohen Strombedarf haben. Bei allen Investitionen in solchen Datencenter sei man bestrebt, möglichst klimaschonend zu bauen. Ziel sei es, mehr Energie in die Versorgungsnetze zurückzugeben, als man ihnen entziehe, ergänzt die Microsoft-Deutschlandchefin Marianne Janik. „Wir sind weltweit auf der Suche nach Lösungen, den CO₂-Abdruck von Rechenzentren zu verringern.“ Verbrauchsstrom könne zum Teil mit Solarenergie erzeugt werden. Auch die Abgabe von Energie in Fernwärmenetze sei denkbar.

Die müssten im Rheinischen Revier aber erstmal entstehen und sich rechnen. Aber möglich erscheint alles. Schließlich sei es an allen Schulen von Bedburg nach den Worten von Bürgermeister Solbach auch gelungen, die Kreidezeit hinter sich zu lassen. „Da sind wir voll digitalisiert.“ Dann dürfte dem Ende des Kohlezeitalters ja nichts mehr im Wege stehen.

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